Rheingau-Roulette
mir auch lieb, sie würden nicht wissen, dass Hannes über Nacht geblieben ist.“ Ihre Gesichtsfarbe rötete sich zart.
„Also keine weiteren Zeugen?“ Der Polizist blieb hartnäckig.
„Nein.“ Hannes schüttelte erneut den Kopf.
„Doch!“
Wie ein Reibeisen erklang Alexandras Stimme. Mühsam presste sie das Wort hervor.
„Wer sind Sie?“ Der Polizist zückte einen Block mit Bleistift.
„Alexandra Rabe.“
„Also, Frau Rabe, Sie können bestätigen, dass Herr Bergner die Nacht bei Frau Wegemuth verbracht hat?“
Alexandra schüttelte sacht den Kopf. Sie hatte Mühe, den Satz hörbar zu formulieren. Leise antwortete sie: „Nicht wirklich. Aber ich habe ihn abends gesehen, als er an Stellas Tür stand und sie ihn hereinließ. Und ich habe gesehen, wie er in der gleichen Jeans und mit demselben Hemd am nächsten Morgen aus ihrer Tür kam.“ Alexandra spürte Hannes Blick auf sich. Die Verlegenheit über den Inhalt ihrer Aussage machten ihre Wangen heiß und rot.
„Können Sie uns sagen, warum sie sowohl abends als auch morgens sehen konnten, wer bei Frau Wegemuth ein- und ausgeht? Wohnen Sie in der Nähe?“
Alexandra traute sich nicht, irgendjemanden außer den beiden Polizisten im Raum anzusehen. Ihr Gesicht brannte.
„Nein. Ich wohne nicht in der Nähe.“
Sie biss sich nervös auf die Lippen. Hoffentlich fragte er nicht. Hoffentlich nicht. Ihre Gedanken rasten und noch bevor sie sich entscheiden konnte, wie sie die nächste Frage beantworten wollte, die sicher kommen würde, erklang die höfliche Stimme des Polizisten:
„Warum waren Sie dann vor Ort?“
Alexandra schwieg. Sie fühlte, wie alle Blicke auf ihr lagen, aber sie hatte Angst in den Augen der anderen das zu sehen, was sie selbst empfand. Scham.
„Frau Rabe? Warum waren Sie vor Ort?“
Spröde klang ihre Stimme durch den Raum, in dessen gespannter Ruhe man das Kindergeschrei aus dem Garten hören konnte.
„Weil ich wissen wollte, ob Herr Bergner bei Frau Wegemuth ist.“
Die Stille im Raum war laut. Unangenehm laut, so laut, wie Unausgesprochenes nur sein konnte. Die Gedanken der Freunde, die sowohl Hannes, als auch Stella und sie betrafen, standen, wie auf eine Tafel geschrieben, allen auf der Stirn. Niemand mochte an das eben Gesagte und scheinbar doch so Offensichtliche glauben. Ein derartiger Betrug an Frank von seiner Frau und seinem besten Freund wäre unvorstellbar. Und Alexandras Rolle war die einer Außenseiterin, die sich den Prinzen angeln wollte und dabei von der Dorfprinzessin abgehängt wurde.
Die Polizisten waren gegangen, nicht ohne Hannes, Stella und Alexandra in den nächsten Tagen zu einem Protokoll auf die Wache zu bitten. Die Unruhe, die sich im Wohnzimmer verbreitete, war umfassend. Alle redeten gleichzeitig und überlegten schockiert, was Judith zugestoßen sein konnte. Bisher war im Dorf von einem Überfall im Nachbarort nichts bekannt geworden, eine untypische Situation für den noch ländlich geprägten Ort, in dem fast jeder jeden kannte.
Die Gesprächsfetzen, die an Alexandras Ohren drangen, drehten sich darum, ob es wirklich Judith sein konnte, die überfallen worden war und welche Folgen der Überfall möglicherweise für sie hatte. Wenn sie ihn überlebt hatte, denn die Polizisten hatten sich weder zum Namen des Opfers, noch zu der Tat an sich geäußert, und so blieb die Frage, ob es Tote gegeben hatte, unbeantwortet. Sowohl Hannes als auch Stella hatten sich mit Spekulationen zurückgehalten. Sie saßen mit Magnus am Tisch und warfen nur hin und wieder kurze Blicke zu Alexandra, die die nächste Gelegenheit nutzte, diesem Bienenkorb unbemerkt zu entkommen. Leise stahl sie sich aus der Terrassentür und floh durch den Garten. Flucht. Nur raus hier, das war ihr treibender Gedanke. Selbst Caro hatte sie nicht den Hauch einer Chance gegeben, mit ihr zu sprechen.
Sie war ohne Auto unterwegs und der Weg nach Hause war lang. Sie ging nicht an ihrem Haus vorbei, dessen verbrannte Reste noch immer auf dem Grundstück herumlagen, sondern folgte dem kleinen Weg zur anderen Seite. Sie musste sich nicht noch mehr Herzschmerzen zufügen, als sie ohnehin schon hatte. Ziellos und mit trüben Gedanken wanderte sie durch den Ort. Schließlich stand sie vor dem Pfarrhaus. Thessmann war der Einzige, der den Nachmittag nicht mit ihnen verbracht hatte. Der Einzige, der ihr Mut und Trost zusprechen konnte. Wenn er da wäre. Sie klingelte.
Harald Thessmann trug eine abgeschnittene kurze Jeans und ein
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