Rheingau-Roulette
ankamen. Er hatte die erste Grabstelle im neueren Teil des Friedhofs bekommen. Thessmann stand in seinem schwarzen Talar in sengender Hitze am Grab. Alexandra merkte, wie ihm der Schweiß an den Schläfen herunterrann. Stella sah bildschön in ihrem schwarzen Etuikleid aus. Der Inbegriff einer mit Würde trauernden Witwe. Rechts hatte sie Tobias und links Charlene an der Hand. Magnus, den Säugling, trug sie in ein schwarzes Tuch gehüllt vor dem Bauch. Flankiert wurde die Familie von Hannes und Andrea, die leise weinend neben Charlene stand. Man konnte sehen, dass Stella ihren Kindern Kraft gab und gleichzeitig die Kraft von ihnen bekam, um hier zu stehen und vom Vater ihrer Kinder und Ehemann Abschied nehmen zu können, ohne ihre Haltung zu verlieren.
Die Sonne war dunstig umnebelt und die Luft stand heiß und schwül zwischen den Gräbern. Der Friedhof war in geradezu mörderischer Wärme aufgeheizt. Alexandra stand etwas zurückgenommen hinter dem engsten Freundeskreis von Frank und Stella, die sie in einer Art Schutzwall umgaben. Hinter diesem Schutzwall standen die Kollegen aus Franks Firma. Junge Männer mit langen Zöpfen, Ziegenbärten und merkwürdigen Brillen, so wie man sich Computerfreaks vorstellte. Nur, dass sie nicht in Jeans und T-Shirt hier standen, sondern in schwarze Anzüge gepresst waren, die ihre besten Tage schon hinter sich hatten. Einige wenige Frauen standen dabei, eine schluchzte heftig, als Thessmann zu reden begann. Es war die junge Frau aus der Kirche.
Auf der anderen Seite der Trauergemeinde standen Herren mittleren Alters. Distinguiert, in Anzügen, die nicht von der Stange waren und deren Haltung auf Kreise der höheren Wirtschaftsebene schließen ließ. Seine Kunden. Dahinter hatten sich entfernte Bekannte und alteingesessene Dorfbewohner eingefunden, die, wie es unter ihnen noch dörflicher Brauch war, aus jedem Haushalt ein Mitglied zur Beerdigung geschickt hatten. Selbst die örtliche Oberschicht war erschienen. Der Bürgermeister hatte in der Kirche lobende Worte für einen Arbeitgeber aus der Region gefunden und sein plötzliches Dahinscheiden als einen massiven Verlust nicht nur für die Familie, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht für den Ort bezeichnet.
Alexandra warf etwas Erde und eine Sonnenblume ins Grab und kondolierte den Kindern und Stella, die sie fest umarmte. Hannes war an Stellas Seite, so als ob er dorthin gehörte und er nickte ihr freundlich zu, ohne etwas zu sagen. Alexandra schossen die Tränen in die Augen. Sie hatte sie die ganze Zeit zurückhalten können, aber jetzt war die Verbindung, die die Beiden zu haben schienen, zu offensichtlich um sie zu übersehen. Eilig verließ sie den Friedhof und schloss sich der kleinen Gruppe von Trauergästen an, die zu Franks Firma gehörten und zum angrenzenden Trauerlokal wanderten. Die junge Frau aus der Kirche schluchzte noch immer heftig und der Kollege sprach Trost zu.
Als Alexandra das Lokal betrat, kam ihr Caro mit verweinten Augen entgegen. Sie hatte den Friedhof als erste verlassen, um sich um die Kinder zu kümmern, die zunehmend unruhiger wurden. Sie hatte sie mit ins Lokal genommen und dort mit Kuchen und Kakao versorgt. Als die Erwachsenen ankamen, waren alle Kinder bis auf Stellas auf dem Spielplatz und spielten.
Alexandra setzte sich weit weg von Hannes und Stella. Die Bedienung brachte ihr Kuchen und Kaffee und die Stille des Trauerzugs wich langsam und stetig dem Gemurmel der Trauergäste, bis die Lautstärke einen normalen Umfang annahm.
„Hallo, warum sitzt du so weit weg von uns?“ Andrea setzte sich neben Alexandra.
„Als ich kam, war kein Platz.“ Alexandra wusste, dass ihre Ausrede schwach klang.
Andrea hatte sich frisch gemacht. Ihre verweinten und verquollenen Augen hatte sie neu geschminkt und sie sah zwar blass, aber sonst sehr gut aus. Ihre klaren blauen Augen blickten suchend um sich.
„Sag mal, hast du vorhin hier eine junge Frau gesehen, mit längeren Haaren. Blond?“
Alexandra antwortete trocken. „Mehrere.“
Andrea lächelte leise und stupste sie in die Seite. „Komm schon. Du weißt bestimmt, wen ich meine. Sie hat sehr heftig geweint. Auffällig heftig.“
Neugierig sah Alexandra zu Andrea. „Warum willst du das wissen?“
„Nicht ich möchte das wissen. Stella hat nach ihr gefragt.“
Rasch blickte Alexandra zu Stella hin, die mit Thessmann in ein Gespräch vertieft war. Thessmann hatte sich auch frisch gemacht, das musste er wohl nach der sengenden
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