Rheingau-Roulette
Eingang zu eilen. Allerdings kehrte sie recht schnell zurück – ohne den geheimnisvollen Gast. Alexandra war verblüfft. Caro war eine sehr liebenswürdige Gastgeberin und lud alles von der Straße ein, was einen einigermaßen freundlichen Eindruck machte. Dass ein möglicher Zaungast nicht von ihr zum Buffet geladen wurde, oder aber ihrem Charme widerstehen konnte und diese Einladung ablehnte, war ungewöhnlich. Eben wollte sie aufstehen, um ihre Cousine nach dem Grund zu fragen, als sie hinter sich ein Geräusch von knackenden Ästen hörte. Als sie sich umdrehte, sah sie nur noch einen Schatten, der sich rasch entfernte.
Sie feierten bis tief in die Nacht. Arno brachte sie nach Hause, als es fast drei Uhr war. Eigentlich brauchte sie für ihren Heimweg von dreihundert Metern keine Begleitung und sie lehnte Arnos Angebot dankend ab. Aber er ließ sich nicht abwimmeln. Er müsse sowieso noch eine kleine Runde mit dem Hund gehen und würde damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Alexandra wusste genau, dass das geschwindelt war und vermutete, dass Caro ihren Mann gebeten hatte, sie nach Hause zu bringen. Sie lächelte. Caro wollte immer auf sie aufpassen. Als ob es hier auf dem Dorf einen Grund dafür geben sollte.
Sie war für einen Moment dankbar, dass sie in ihrem ruhigen Häuschen die restliche Nacht verbringen und morgens den Tag allein beginnen konnte, ohne auf Kinder, die früh am Morgen erwachen und beschäftigt werden wollen oder Hunde mit voller Blase Rücksicht nehmen zu müssen.Rechts, links, rechts, links, rechts, links ...
Alexandra versuchte, den Rhythmus ihres Lauftempos an die Musik aus ihrem iPod anzupassen. Ihre Laufstrecke führte sie durch einen schmalen, aber dichten Baumbestand, immer geradeaus, danach ein Stückchen über das Feld und parallel zu dem durch ein lichtes Wäldchen bläulich schimmernden See. Um diese frühe Uhrzeit, es war noch nicht sieben Uhr morgens, war es noch kühl und frisch draußen. Durch die Nähe zum See war die Luft feucht. Der Frühnebel hing wie eine Rauchwolke über dem Wald und verschleierte mit seinem Dunst alles in zarte Grautöne. Bisher war ihr bei ihren regelmäßigen Geländeläufen noch nie jemand begegnet, aber heute schien sie nicht allein auf dem schmalen Weg zu sein. Eigentlich war es mehr ein Trampelpfad als ein Weg, bei Regen war er schnell aufgeweicht, so dass man im Schlamm regelrecht versackte.
Zwischen den Bäumen bemerkte Alexandra eine Bewegung, ein signalfarbenes Etwas bewegte sich hin und her. Nach drei Minuten kam sie der Signalfarbe, einem grellen Neongrün näher. Da war jemand unterwegs. Mit einer dunklen Pudelmütze, geschmückt mit einem pinkfarbenen Schweißband kam ihr eine junge Frau mit schmalem Gesicht entgegen. Sie trug ebenfalls einen iPod und grüßte Alexandra freundlich lächelnd. Ihre schmale Erscheinung war von oben bis unten in grell bunte Farben eingekleidet. Unter der neongrünen Jacke blitzte ein gelbes T-Shirt mit roter Schrift hervor und sie hatte königsblaue, glänzende Laufleggings an, die an den Unterschenkeln in lila-orange geringelte Stulpen endete. Alexandra grüßte zurück und musste über diesen bunten Farben-Cocktail und seine Trägerin lächeln. Sollte sie jemals wünschen, aufzufallen, würde sie sich an diese Farbkombination erinnern. Ein brasilianischer Papagei, der heiter durch den eintönig grünen Brandenburger Wald fliegt.
Es fiel ihr heute schwer, ihre Gedanken laufen zu lassen. Normalerweise konnte sie durch das Joggen ihre Gedanken ordnen, und wenn ihre Gedanken erst flossen, dann wurde ihr Laufrhythmus gleichmäßig. Getragen von den kommenden und gehenden Gedankengängen, die ohne haften zu bleiben durch ihr Hirn wanderten und deren gleichmäßiger Fluss ihre Füße in ebenso gleichmäßigen Schritten über den Untergrund leiteten. Heute war alles anders. Sie hatte schlecht geschlafen. Weder ihre Beine noch ihre Gedanken ließen sich in einen rhythmischen Einklang bringen. Ihre immer wiederkehrenden Alpträume, den Verlust ihres Kindes betreffend, hatten sie gequält. Als sie in den frühen Morgenstunden endlich aufstand, froh darüber, dass die Nacht zu Ende war und sie sich einen Kaffee machen wollte, entdeckte sie, dass die Kaffeedose leer war. Ihr Boiler wollte auch nicht ein kleines bisschen warmes Wasser herausgeben und ihre Lieblingslaufschuhe waren an der Sohle eingerissen, so dass sie auf ihre Ersatzschuhe zurückgreifen musste. Alexandra musste wider Willen
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