Rheingau-Roulette
letzten Augenblick erfasste Hannes den warnenden Blick von Arno auf seine Töchter und verschluckte die letzte Silbe.
„Ich bin heute Morgen um vier Uhr aufgestanden, um zu arbeiten.“
„Ich wollte mir eigentlich noch die Heimstatt meiner Möbel anschauen, aber ich glaube wir verschieben das“, sagte Alexandra und stand auf, um die Treppe herabzusteigen.
„Wenn es dir recht ist, gerne.“
Hannes nickte zustimmend und die Gesellschaft verließ das Atelier durch ein riesiges Tor, das im hinteren Bereich zum Lager führte. Sie hatten sich länger aufgehalten als gedacht. Im Hof standen die Fahrräder und die Reisegruppe machte sich zur Abfahrt bereit. Gerade als Alexandra auf ihr Rad steigen wollte, bemerkte Dieter, dass ihr Hinterrad platt ist.
„Das Vorderrad auch!“ Arno zeigte auf den Reifen. „Nanu, wo bist du denn lang gefahren, Cousinchen? Waren irgendwo Scherben?“
„Keine Ahnung.“ Alexandra besah sich die Reifen.
„Guckt mal“, sie zeigte auf das vordere Rad. „Da ist ein langer Riss. Sieht fast aus wie ein Schnitt!“
„Das zieht nicht fast wie ein Schnitt aus, da hat tatsächlich jemand reingeschnitten!“ Arno fuhr mit der Hand über den Reifen.
Dieter stellte sich neben Arno. „Zeig her! Das ist ja nicht nur ein Schnitt, da sind mehrere. Da hat jemand mit einem großen Messer richtig reingestochen!“
Arno und Dieter besahen sich die Reifen. Sowohl das Hinterrad als auch das Vorderrad waren offensichtlich mutwillig und mit großer Zerstörungswut zerschnitten worden.
„Was ist das denn für eine Sauerei?“ Dieter untersuchte die anderen Fahrräder. „Nur deins ist kaputt, Alex. Hast du jemanden verärgert?“
„Mein Rad stand am nächsten zum Hoftor. Vielleicht sind wir zu früh aus dem Atelier gekommen und der Täter hat nur meins geschafft.“ Alexandra ärgerte sich.
„Jetzt muss ich nach Hause laufen. Wenigstens bin ich schon in Rangsdorf. Ich weiß gar nicht genau, welchen Weg ich laufen muss, um nach Hause zu kommen!“
Hannes besah sich den Schaden. Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich und brüsk sagte er: „Ich fahre dich. Das Fahrrad kannst du hier in der Scheune lassen. Wenn ich demnächst zum Baumarkt komme, kann ich dir zwei neue Reifen besorgen.“
Alexandra überlegte einen Moment.
„Nein danke. Ich schiebe meine alte Krücke heim. Dann sehe ich wenigstens was vom Ort.“
Neben einem schlecht gelaunten Hannes im Auto zu sitzen, erschien ihr bei der Hitze nicht erstrebenswert.
„Quatsch Alex“, Caro schüttelte den Kopf. „Es sind noch gute drei Kilometer bis nach Hause. Das läufst du bei der Hitze besser nicht. Jedenfalls nicht, wenn du noch ein blödes kaputtes Fahrrad schieben musst.“
Hannes hatte das Ergebnis der Diskussion nicht abgewartet, sondern das Fahrrad schon in der Scheune untergestellt und fuhr einen dunklen Passat Kombi aus dem großen Scheunentor.
„Tschüss ihr zwei, wir fahren schon mal los!“
Caro, Arno und Dieter winkten ihr zu und verschwanden durch das Hoftor. Josie und Natz drehten noch eine Runde über den Kies und radelten dann mit schnellem Tritt hinter den Erwachsenen her. „Tschüss Alex. Tschüss Hannes!“
„Ich muss nur noch rasch abschließen.“
Hannes ging in Richtung Haupthaus.
„Hannes, ich kann wirklich laufen, das macht mir nichts aus!“
Hannes drehte sich nur kurz um, nickte und sagte sehr bestimmt: „Ganz sicher nicht. Ich fahre dich.“
Unschlüssig stand Alexandra in der Wärme im Hof. Sie würde fünf Minuten auf ihn warten, dann würde sie losgehen. Sie setzte sich unter die Linde, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Kleine Schweißperlen kitzelten sie im Haaransatz im Nacken. In der Baumkrone summten die Bienen und Hummeln und erzeugten einen dunklen, allumfassenden Brummton. Die Stimmen der anderen aus der Wandergruppe waren verstummt und auch Josie und Natz waren nicht mehr zu hören. Außer den Insekten, zeternden Vögeln und zirpenden Grillen gab es keine Geräusche. Sie seufzte. Was für eine Idylle.
Schnelle Schritte erklangen knirschend auf dem Kies und als Alexandra die Augen öffnete stand Hannes vor ihr.
„Wir können.“
In dem Moment, als sie aufstand, traf sie etwas hart am Bein.
„Aua!“
Noch bevor sie verstehen konnte, was sie dort getroffen hatte, sah sie Hannes in einem atemberaubenden Tempo aus dem Hof sprinten.
Fassungslos sah sie neben ihrem blutenden Bein einen groben Pflasterstein liegen. Da hat jemand einen Stein auf sie geworfen. Oder
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