Rheingau-Roulette
den August fallen. Egal. Die Ruhezeit bis dahin täte ihr sowieso gut. Und im Juli anzufangen wäre sinnlos, da die Schulkinder alle im Urlaub wären. Sie sah auf den Ferienplan, den ihr Caro gegeben hatte. Bis zum neunzehnten August waren die Sommerferien eingetragen. Und Caro hatte auch vermerkt, wann sie in Urlaub gehen würde. Die letzten beiden Wochen im Juli und die erste Augustwoche.
Alexandra seufzte. Drei Wochen ohne Caro und Familie. Sehnsüchtig blickte sie in ihren Garten. Es blühte überall und die Bienen brummten fröhlich. Schmetterlinge flatterten zitronengelb umher, von einer Blüte zur nächsten. Heiter sah ihr Garten aus. Heute Abend würde sie ihn dringend gießen müssen. Der Rasen, besser gesagt, die Wiesenfläche, die mal ein gepflegter Rasen war, zeigte bereits erste gelbe Flecken.
Früher war ihr nicht bewusst, wie sehr sie die Gesellschaft ihrer Cousine und der Kinder genoss. Jetzt, nach wenigen Wochen in Rangsdorf, konnte sie es sich nicht mehr vorstellen, ohne den nahen Kontakt zu ihr zu wohnen. Es war wie früher, als sie Tag und Nacht zusammengluckten. „Siamesische Zwillinge“ hatten ihre Mütter oft genug geschimpft, wenn sie nicht mal allein in den Keller gehen wollten, um die Waschmaschine zu befüllen. Alexandra grinste. Mütter. Hatten eben nicht die Spur einer Ahnung, wie viel man als pubertierende Göre mit der engsten Vertrauten zu besprechen hat.
Unvorstellbar, dass sie es ausgehalten hatte, in Berlin mit Oliver zu leben und Caro nicht nebenan zu haben.
Mal eben zu ihr laufen und einen Kaffee trinken, sich zum Shoppen zu verabreden, oder aber abends einen Film zusammen schauen - alles, was sie früher mit Oliver gemacht hatte, oder aber schon bei ihm vermisste, machte sie mit Caro.
Es war dieser Moment, der Blick in den Garten, das schmerzhafte Gefühl, Caro schon zu vermissen, wenn sie nur für drei Wochen in Urlaub ging. Es waren diese Gedankengänge, die ihr unmissverständlich klar machten, dass sie sich entschieden hatte.
Hier würde sie bleiben. Hier in Rangsdorf.
Und hier würde ihre Zukunft stattfinden. Sie ging ein paar Schritte in den Garten und setzte sich auf die Wiese. Neben ihr stand ein kleiner Busch. Das Tränende Herz blühte zartrosa. Alexandra sah nachdenklich auf ihr Haus. Windschief verlebt und grau.
Ja, ihre Zukunft ist hier. Wie immer diese Zukunft auch aussehen mochte. Und sie war sich plötzlich sicher: Dieses Haus würde diese Zeit jedenfalls nicht erleben.
Sie war später als gewöhnlich auf ihrer Laufstrecke unterwegs. Die Viertelstunde, die sie verschlafen hatte, war der Anstrengung der letzten Tage geschuldet und nicht zuletzt auch der Arbeit vom gestrigen Abend. Wie eine Wilde hatte sie im Garten gewütet, nachdem ihr endlich klar war, dass sie dieses Grundstück behalten wollte. Erst am späten Abend war sie erschöpft ins Bett gefallen.
Auch wenn die Luft noch einen Hauch von Frische hatte, es war bereits warm und dieser Tag versprach genauso heiß zu werden, wie die letzten Tage. Langsam merkte man der Vegetation die Hitze an. Die Gräser waren nicht mehr so grün und die Felder waren so trocken, dass jeder Lufthauch einen Staubsturm entfachte.
Zwischen den Bäumen glitzerte der See ruhig in der Sonne. Alexandra genoss den Lauf. Jeder Schritt, den sie auf den leicht federnden Untergrund setzte, gab ihrem Körper die Rückmeldung: Waldboden! Leichtfüßig trabte sie vorbei an den Nadelbäumen, deren warmer Geruch sie an einen Wandertag in den mallorquinischen Bergen erinnerte. Die Heckenrosen, die entlang des Weges standen, begeisterten Alexandra durch ihre Blühfreudigkeit und ihren zarten Duft. So welche mussten unbedingt in ihren verwilderten Garten.
Sie dachte an die Arbeit, die das Stück Land um ihr Haus noch von ihr ab verlangen würde und stöhnte. Wenigstens hatte Oma Liesel drei schöne Fliederbäume gepflanzt, die sie über die Jahre gehegt und gepflegt hatte und die bis Ende Juni herrlich blühten. Selbst die extreme Wärme in diesem Frühling konnte ihnen das lebensfrohe Strahlen ihrer Blütenstände nicht nehmen. Ein Magnolienbaum fehlte noch, sinnierte Alexandra beim letzten Spurt durch den Wald. Und ein Kirschbaum. Nein, besser noch, zwei. Knubberkirschen, so wie zu Hause, bei ihrer Mutter.
Sie trabte eine schmale Anhöhe hoch und dachte dabei wehmütig an die Fahrradtouren, die sie mit Caro gemacht hatte. Von Eschwege nach Witzenhausen, der Hauptstadt des nordhessischen
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