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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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Trinkhorn an die Lippen und trank es leer, als versuche er, mit dem Met die Erinnerungen auszulöschen, die der Gesang in ihm weckte. Er dachte an Zeiten, die mehr als zwanzig Jahre zurücklagen, an die Halle seines Vaters und an den Apfelbaum, der in ihrer Mitte gestanden hatte. Adalrat, den Sigmund nach seiner Rückkehr besiegte, hatte sie abgebrannt und dann wieder aufgebaut.
    Sigmund ließ den Bau zwar so verändern, daß er seiner Erinnerung entsprach, aber den Apfelbaum konnte er nicht ersetzen. Der Skop sang gerade von der Walküre, die Sigmund in allen Schlachten schützte. Er erzählte von der strahlenden Jungfrau, deren weiße Gestalt im Wintersturm vor seinen Augen erschienen war, als er um sein Land gekämpft hatte. Er sah sie über sich in der Luft. Sie hielt das gleiche Schwert in der Hand; sie hatte die langen hellblonden Haare und das vertraute Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen. Oder waren es nur der Wahn seiner Kampfeswut und die Sehnsucht seines Herzens? Widukund, der Erulier, hatte ihn gewarnt, daß menschliches Wollen die klare Sicht seiner Seele trüben könne...
    Ja, er hat recht, dachte Sigmund bekümmert. In den zehn Jahren seiner Herrschaft als Drichten im Land der Sachsen war das Wissen des Eruliers von den täglichen Pflichten und Sorgen immer mehr überlagert worden. Es fiel ihm deshalb schwer und immer schwerer, wenn er wie jetzt versuchte, seine Gedanken so zur Ruhe zu bringen, wie der Erulier es ihn in der Höhle gelehrt hatte. Und wenn er sich darum bemühte, sich mit der Kraft seines Geistes in die andere Ebene aufzuschwingen, um Siglind zu schauen, dann erstickte ihn sein brennendes Verlangen fast und machte ihn blind. Er wurde die beklemmende Angst nicht los, daß er sie nie wiedersehen würde. Der Mondschein auf dem Wasser des Rheins gab ihm eine trügerische Antwort. Das schimmernde Silberlicht täuschte seine Augen und weckte in ihm die Hoffnung, Siglind sei ihm nahe. Er richtete sich erwartungsvoll auf und lauschte dem Lied, das ihn mit der Kraft seiner Worte zu verzaubern schien. Dann ließ er beschämt den Kopf auf die Brust sinken. Auch als sein Sohn noch bei ihm gewesen war, hatte der Gedanke an Siglind oft in ihm den heftigen Wunsch ausgelöst, alles aufzugeben, was er für sich und sein Volk gewonnen hatte, um nur bei ihr zu sein. Aber Sigmund brachte es auch in dieser Nacht nicht über sich, die Lieder zum Verstummen zu bringen, die Siglind verherrlichten. »Mein Herz blutet, und die Wunde kann sich nicht schließen, seit Siglind mir das Geheimnis ihrer Liebe enthüllte und sich mir dann in den Flammen entzog.«
    Sigmund wandte den Blick vom Fluß und griff nach dem Krug. Er füllte das Horn mit dem starken Met, trank in großen Zügen und hoffte, die Wärme des berauschendne Tranks werde seine Qualen betäuben. Aber das Trinkhorn weckte eine andere Erinnerung. Er dachte an seine dänische Frau Borghild und an den Herbst, als Sinfjotli nach einem ruhmreichen Sommer zurückkehrte, in dem er gegen Hundingsbani gekämpft hatte. Damals hatte alles so glücklich begonnen, was so tragisch enden sollte...
    Sie saßen beim Fest in der Halle. Der Skop sang von Sinfjotlis ruhmreichen Taten, und Sigmund freute sich über die Tapferkeit seines Sohns. Borghild hatte sanft die zarten Finger in Sigmunds Hand gelegt und ihm herausfordernd in die Augen gesehen. Sie hatte den Kopf mit den aufgesteckten Zöpfen so geneigt, daß der eine goldene Ohrring lockend hin und her schaukelte und der andere ihr wie eine glänzende Haarlocke auf der Schulter lag. Sigmund stöhnte gequält bei diesem Anblick, der ihm vor den Augen stand, als sei es heute gewesen, denn er hörte ihre spöttischen Worte, mit denen sie Sinfjotli an seiner Ehre gepackt hatte, um ihn von seiner Seite zu reißen: »Sinfjotli, willst du Sigmunds Halle immer nur für einen Sommer verlassen? Warum denkst du eigentlich nicht daran, dir eine Braut zu gewinnen? Ist es für einen so großen Helden wie dich keine Schande, in der Halle deines Vaters zu sitzen, zu trinken und meine Mägde anzustarren, als seist du zu schwach, um eine Jungfrau zu finden, die der Wälsungen würdig ist? Sogar meinem jüngeren Bruder Hotwer ist schon eine Frau versprochen, und er ist nur halb so berühmt wie du.«
    »Soll er unsere Halle wirklich so schnell verlassen?« hatte Sigmund Borghild betroffen gefragt, während Sinfjotli die Röte ins Gesicht stieg. Als verheirateter Mann würde sein Sohn eine eigene Halle haben, auch wenn sie im Land

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