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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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seines Vater stand. »Du kannst deinen Sohn nicht ewig bei dir haben, Sigmund«, antwortete Borghild sanft, »Sinfjotli ist ein erwachsener Mann und muß seine eigenen Wege gehen. Und wenn die Götter es wollen, werden unsere Söhne in seiner leeren Kammer wohnen.«
    »Ja«, flüsterte Sigmund in die Nacht, und wie damals kamen ihm seine Worte hohl und leer vor, als er seinen Sohn gefragt hatte: »Sinfjotli, bist du bereit, auf Brautschau zu gehen?«
    Der Skop griff in die Saiten seiner kleinen Harfe und sang. Sigmund leerte das Trinkhorn und lehnte sich zurück. Seine Hände ruhten auf den beiden geschnitzten Drachenköpfen des prächtigen Stuhls. Borghild erhob sich und holte den Krug, um das Horn ihres Mannes mit Met zu füllen. Sinfjotli sprang auf und rief: »Ich bitte dich, mir zwölf deiner Gefolgsleute und ein Schiff zu geben, wenn die Winterstürme vorbei sind.«
    »Das soll geschehen«, erwiderte Sigmund.
    »Ich werde zu Mittsommer mit einer Frowe an meiner Seite wiederkommen, das schwöre ich und trinke darauf!«
    »Denkst du an eine bestimmte Frau?« fragte Sigmund. Sinfjotli blickte nachdenklich in das leere Horn. Er zögerte kurz, dann hob er den Kopf und sah seinen Vater an. »Vielleicht«, erwiderte er lachend, »laß dich überraschen.« »Auf deine Braut, wer sie auch sein mag!« rief Sigmund. Er trank den Met, der ihm wie eine schwindelerregende Welle in den Kopf stieg, sprang auf und riß Borghild so heftig an sich, daß etwas von dem Met in ihrem Glas auf ihr Gewand schwappte. Sie stieß einen leisen Schrei aus. Dann kicherte sie und legte den Kopf an Sigmunds breite Schulter. »Gute Nacht, mein Sohn«, sagte er zu Sinfjotli und fügte mit einem Blick auf Borghild grinsend hinzu: »Ich glaube, wir zwei wollen jetzt lieber allein sein.« Er nahm Borghild auf die Arme und küßte sie. Wie so oft fuhr er mit der Zunge über ihre kleinen Zähne und trug sie triumphierend wie in ihrer ersten Nacht aus der Halle in die Kammer.
    Im trügerischen Fackellicht konnte er sich fast vorstellen, daß die langen Zöpfe, die sie löste, noch blonder waren, ihr Gesicht kräftiger und ihm ähnlicher. Doch als sie näherkam und sich zu ihm legte, war sie nicht mehr Siglind. Und bei keiner Berührung konnte er sich wirklich einreden, daß sie mit seiner Zwillingsschwester zu vergleichen war.
    Aus dem Augenwinkel sah er etwas Weißes aufblitzen. Mit klopfendem Herz drehte er den Kopf zur Seite. »Was ist?« fragte Borghild leise. »Ich glaubte... jemanden zu sehen...«, stieß er verwirrt hervor. Er küßte sie und dachte: Wenn ich heute nacht hinaus zu dem geweihten Stein gehe, wie der Erulier es mir geraten hat... aber Borghild wird wissen wollen, wohin ich gehe und warum. Ich kann es ihr nicht sagen, und sie wird erst recht eifersüchtig sein, wenn sie weiß, daß mein Herz an einer toten Frau hängt...
    Sigmund schob die Erinnerungen beiseite. Er stand auf, ging zu dem Faß Met am Mast und füllte den Krug. Der Met schäumte auf. Dieses Schiff hatte er Sinfjotli für die Brautfahrt gegeben, als die Winterstürme vorüber waren und die grünen Lauchstengel mit der Kraft der warmen Sonne aus der nassen Erde schossen. Sein Sohn brauchte ein großes, seetüchtiges Schiff, denn die Flut stieg Jahr für Jahr höher.
    Die Gischt sprühte beinahe bis auf die flachen Hügel, wo er die Dörfer in seinem Land hatte errichten lassen. Die Hügel stammten noch von seinem Großvater und Vater und dienten damals dem Schutz vor dem Hochwasser am Winterende. Ihn beschäftigte schon lange ein Gedanke, der ihn auch zu der Fahrt rheinaufwärts in den Süden bewogen hatte: Wenn die wilde Nordsee sich mit jeder Flut weiter in das Land frißt, dann muß ich es verlassen und mit meinem Volk an einen anderen Ort ziehen.
    Damals war das Wasser nach dem Eostrefest am ersten Vollmond des Sommers zurückgegangen. Bald wateten die Kühe auf der Suche nach Futter wieder durch den Schlamm. Sie liefen die Hügel hinunter in das ehemals fruchtbare Land, fanden aber nur rötlichbraunes Seegras.
    Die Zeit verging schnell. Zwei Wochen vor der Mittsommernacht hörte Sigmund den Klang des Horns, während er sich mit Ewumar im Schwertkampf übte. Er hob das Übungsschwert, trat beiseite und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unten auf dem breiten Fluß sah er stolz das Apfelbanner am Mast wehen, während die Mannschaft das Schiff langsam stromaufwärts ruderte. »Ist er es?« fragte Ewumar, stützte sich auf sein Holzschwert und hielt schützend

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