Rheingold
ihn wehmütig erschauern, »bleib stehen. Du darfst morgen nicht kämpfen, oder du wirst mit Gewißheit sterben.«
»Welchen Rat gibst du mir?« fragte Sigmund erschrocken. »Soll ich vor dem Feind fliehen und Schande über unsere Sippe bringen?«
»In Wotans Namen soll ich dir diesen Rat geben: Er hat bestimmt, daß du sterben mußt, wenn du morgen kämpfst. Wotan will nicht, daß du in dieser Schlacht den Sieg erringst. Er hat dir oft seine Gunst gewährt, und deshalb läßt er dich warnen. Ich möchte, daß du lebst, denn du hast einen Grund dazu, der über deinem Stolz steht. Ein Wälsung, dein Sohn, wächst in Herwodis heran. Es ist unser Sohn, der wiedergeboren wird. Wenn Lingwe dich tötet und Herwodis im Wald entdeckt, dann wird das Kind ein grausames Schicksal treffen. Wenn du morgen von Lingwes Hand stirbst, dann wird er deine Seele und die Seele unseres Sohnes an sich binden. Wenn Lingwe deine Frau zur Gefangenen macht, dann wird der letzte Wälsung, der der größte und mächtigste Held unserer ganzen Sippe sein wird, durch Lingwe unvorstellbare Schande erleiden.«
»Ich kann nicht fliehen«, erwiderte Sigmund. »Wenn Wotan mir seine Gunst entzieht - nun ja, er gibt und nimmt, wie es ihm gefällt. Haben die Nomen wirklich die Fäden so gesponnen, daß Herwodis in Lingwes Hand fällt, wenn ich sterbe?«
»Es kann geschehen, und es ist sehr wahrscheinlich. Deshalb hat Wotan mir aufgetragen, dich zu warnen.«
»Aber es ist nicht so bestimmt. Wenn ich besiegt werde, dann mußt du Herwodis und den Sohn in ihrem Leib schützen. Lingwes Schwert allein wird mich nicht töten können. Die Wolfswut ist immer noch in mir. Sie schützt mich vor Eisen, und für den Fall, daß mich dunkle Magie binden sollte, vertraue ich auf meine Kraft.«
»Ich möchte nicht, daß du stirbst«, sagte Siglind, und über ihr kaltes weißes Gesicht zog ein dunkler Schatten, »denn dann werden wir für eine lange Zeit getrennt sein. Ich fürchte, daß das Unheil, das Lingwe dir zugedacht hat, unser Band für immer zerreißen könnte.«
»Meine Schwester«, murmelte Sigmund, »ich würde dich nie verlassen. Aber du bist gestorben, um den Eid nicht zu brechen, den du einem Mann gegeben hast, dem dein ganzer Haß galt. Ich kann jetzt nicht diejenigen enttäuschen, denen ich geschworen habe zu helfen. Steh mir bei in der Schlacht, wenn du kannst. Wenn es Wotans Wille ist, daß ich sterbe, dann geh zu Herwodis und schütze sie vor meinen Feinden.«
Siglind nickte, und ihre Gestalt schien im hellen Mondlicht zu verblassen. Sigmund wollte sie umarmen, aber die Berührung ihrer Lippen war wie kühler Nebel. Er schloß die Augen, und als er sie wieder aufschlug, lag er in seinem Zelt. Die kalte feuchte Luft verriet ihm, daß der Tag bald anbrechen würde, und er erhob sich von seinem Lager.
Awilimo stand schon bereit, als Sigmund das Zelt verließ. Sie sprachen im kalten Wind und dem dichten Nebel mit ihren Kriegern, die ihre Rüstungen anlegten und die Kettenhemden schlossen. Schließlich zeigte sich das erste blasse Blau im aufreißenden Dunst. Auf der Ebene sah Sigmund die dunklen Schatten von Lingwes Heer. Sein Schwert tönte leise in der Scheide. Er zog es, hielt es hoch, und die pulsierende Macht strömte durch seinen Arm. Er wußte, mit dem Schwert in der Hand, der entfesselten Wolfsnatur und Siglind in den Wolken, die ihn, wie er nach dieser Nacht unerschütterlich glaubte, vor bösem Zauber und Schaden bewahrte, konnte er nicht geschlagen werden. Er lachte, und als die Kampflust in ihm erwachte, legte er den Kopf zurück und heulte. Der hohe gespenstische Laut schallte über die Ebene. Sein Wolfsgeheul würde die Feinde erschrecken, aber Oshelm und Rodger, die neben ihm standen, schlugen begeistert mit den Schwertern auf die Schilde. Ein paar Regentropfen fielen auf Sigmunds Gesicht. Der neue Tag begann grau und kämpfte sich mühsam durch das wilde Heer der Wolkenfetzen, die über den Himmel jagten. Awilimo trat in voller Rüstung und mit geschlossenem Helm neben Sigmund. »Ich glaube, wir können nicht länger warten«, sagte er. Sigmund, dessen Kampfgeist höher und höher loderte, sah ein rotgoldenes Leuchten um den anderen König, das die Umrisse seines Körpers verwischte. »Ja, wir sind bereit!«
Awilimo hob die Hand. Paltwini reichte Sigmund das Horn seines Vaters, und er blies es mit aller Kraft, daß der Klang den Himmel zerriß wie ein Donnerschlag. Die Krieger sammelten sich hinter ihnen und marschierten auf das
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