Rheingold
Schulter und reinigte auch Sigfrids Stirnwunde.
»Ich brauche keinen Verband«, wehrte Sigfrid ab, als Regin ihm auch den Kopf verbinden wollte.
Achselzuckend warf Regin das Tuch in die Truhe zurück, aus der er es geholt hatte, und reichte Sigfrid einen kleinen Besen, der an der Höhlenwand lehnte. »Meinetwegen. Wenn deine Wunde nicht einmal verbunden werden muß, dann kannst du auch die Höhle ausfegen.« Er entkorkte einen Tonkrug mit Wein und füllte sich einen Becher. Dann setzte er sich auf den Hocker und sah zu, wie Sigfrid den Boden fegte.
*
Obwohl Regin nicht erlaubte, daß Sigfrid die Höhle betrat, hielt er sich regelmäßig in der Umgebung auf. Die Tage wurden immer kürzer, aber Sigfrid blieb viel Zeit, um durch den Wald zu streifen und dabei einen Teil der Unruhe loszuwerden, die ihn vom frühen Morgen bis zum späten Abend quälte. Kein Mann aus Alprechts Gefolge war mehr bereit, sich mit ihm bei den Waffenübungen zu messen; niemand wollte mit ihm jagen, denn kein Pferd konnte mit Grani Schritt halten.
Wenn er bei seinen ruhelosen Streifzügen schließlich wieder auf Regins Hügel stand, spürte er, wie der Felsen unter ihm dröhnte, und er hörte undeutlich die tiefe Stimme des Zwergs in einem geheimnisvollen Singsang, aber er verstand nie ein Wort. Manchmal roch der Rauch aus der Esse nach Eschenholz, hin und wieder war er jedoch schwarz, und die Luft stank nach verbranntem Fell. Einmal stieg sogar grünlicher Rauch auf, und als Sigfrid vorsichtig schnupperte, wurde ihm übel. Er lehnte sich an Granis Seite, um nicht umzufallen, und hustete, bis ihm der Brustkorb schmerzte.
Trotz seiner Ankündigung erschien Regin nicht in der Halle, um Sigfrid zu holen. Aber Sigfrid legte regelmäßig Brotlaibe oder Kaninchen vor das schwere Holztor. Dann verbarg er sich, um zu sehen, ob Regin aus der Höhle kam, aber er brachte nie die Geduld auf, lange genug zu warten, bis der Zwerg vor dem Eingang der Höhle erschien.
Als das Julfest näherrückte, spürte Sigfrid über Regins Hügel ein prickelndes Funkeln in der frostklaren Luft, das ihn mit beinahe unerträglicher Spannung erfüllte. Er wußte, der Zauber des alten Schmieds für sein neues Schwert nahm an Macht zu. Dwalans Runen wurden mit Hammer und Feuer, mit Worten und Kräutern in den glühenden Stahl der Klinge geschmiedet. Jeden Abend harrte Sigfrid länger in der Dunkelheit aus. Er saß auf dem Hügel und starrte in das lichtlose Schimmern tanzender blauer Funken, die manchmal in der schwarzen Nacht einen wirbelnden Kreis bildeten, der sich in Spiralen nach oben wand, so daß Sigfrid vom Zusehen fast schwindlig wurde.
In der Nacht vor dem Julfest kehrte Sigfrid nicht in das kleine Haus zurück, das er mit Hildkar und Klodwig teilte. Er suchte sich einen geeigneten Platz, säuberte ihn von der dünnen Schneedecke, hüllte sich in seinen Umhang und setzte sich auf die gefrorene Erde. Grani legte sich neben seinen Herrn und wärmte ihn mit seinem dicken Fell.
Die Wolken am Himmel rissen auf. Der neue Mond schimmerte kalt und silbern inmitten der eisigen Sterne. Sigfrid blickte lange hinauf. Regin hatte ihm einige der Sternbilder erklärt -er sah Wotans Wagen und Frijas Spinnrocken, aber die meisten anderen Zeichen kannte er nicht. Eingehüllt in den dicken Umhang, spürte Sigfrid die Wärme seines Pferdes. Seufzend schloß er die Augen und lauschte auf das dumpfe Hämmern im Felsen unter ihm. Im Halbschlaf erkannte er plötzlich klar und deutlich Worte.
»Norden, Süden, Osten, Westen - Altjof, Dwalanz, Nar und Nawanz - Nyi, Niti, Niping, Dawan - An und Onar, Ai, Windhalf...« Er preßte das Ohr auf den Stein und glaubte, dunkle Stimmen wie schürfende Steine zu vernehmen.
»Drachengift für einen Drachen. Gift von den Wurzeln der Weltesche, von der Schlange Swefnir, die die Wurzeln der Weltesche frißt.« »Er, der tötet, bringt den Schlaf. Scharf sei die Klinge des Drachenschwerts. Die Schlangen dort sind mit uns verwandt.«
»Wir Zwerge kriechen durch Etins alten Erdleib und hausen inmitten seiner felsigen Gebeine.« »Kenaz, die Rune, Fackel und Fäule und das zerfressende Wasser sollen das Schwert mit tödlicher Kraft erfüllen.«
»Ja, darin besteht die Kunst der Zwerge: kein Ding ohne Gift, wenn es nicht zu unserem Preis gekauft wird.«
»Der junge Regin setzt einen hohen Preis. Er hat daran sehr lange geschmiedet - länger als an anderen Dingen.«
Die unheimlichen Stimmen schienen zu lachen, aber es klang wie Donner aus den
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