Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
ist?«
    Grani ging im Schritt durch den Wald und rupfte am Rand des Pfades immer wieder kleine Zweige und abgestorbene Blätter ab. Sigfrid schloß die Augen und überließ es dem Pferd, sie beide zur Halle zu bringen.
    Grani blieb bald an einem kleinen Teich stehen. Das dünne Eis über dem Wasser funkelte im Sonnenlicht wie ein glänzender Spiegel. Sigfrid öffnete die Augen und murmelte: »Du hast wohl Durst. Also gut, ich breche dir ein Loch ins Eis.«
    Er sprang vom Pferderücken, hob den Fuß und wollte die Eisdecke durchtreten. Plötzlich hielt er inne, überrascht von der Klarheit, mit der sich alles auf dem Eis spiegelte. Er sah deutlich seine Schuhsohle, die getrocknete Erde, die in den sauberen Stichen klebte, sein langes Bein und den riesigen Körper. Neugierig kniete er im dünnen Schnee am Ufer und betrachtete sich.
    Sigfrid hatte seit Monaten nicht mehr in einen Spiegel geblickt. Der Mann im Eis schien ein Fremder zu sein. Dichtes helles Haar fiel ihm über die breiten Schultern, und die Sonnenstrahlen glänzten auf dem dünnen Bart, der sein Gesicht und die Lippen umrahmte. Er sah die Ähnlichkeit mit seiner Mutter - die breiten Wangenknochen und die dichten Brauen, die sich wie bei ihr hoch über die Augen wölbten. Während Sigfrid stumm auf sein Spiegelbild blickte, sah er dahinter schattenhaft noch ein Gesicht mit einem blonden Bart über einem kantigen Gesicht, schmalen Lippen und blonden Haaren, die über eine hohe Stirn fielen, die seiner glich. Sigfrid spürte in diesem Augenblick den Geist seines Vaters so greifbar nahe wie noch nie zuvor, und er fühlte die leuchtenden blauen Augen seines Vaters auf sich gerichtet.
    Leise, aber mit klarer, fester Stimme sagte er: »Mein Vater hatte ein Schwert. Ich werde kein Schwert mein eigen nennen, bis ich es in Händen halte...« Und wer, fragte er sich, weiß etwas über das Schwert meines Vaters? »Meine Mutter«, flüsterte er tonlos. Er blickte unverwandt in den Eisspiegel und kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück. Er sah, daß seine linke Gesichtshälfte mit Erde verschmiert war; seine Haare hatte er seit Wochen nicht richtig gekämmt, und ihm fiel ein, daß er sich schon lange nicht mehr richtig gewaschen hatte. Wenn er seine Mutter nach dem Schwert seines Vaters fragen wollte, mußte er wie ein Edelmann vor ihr erscheinen - als Sigmunds Sohn!
    Sigfrid zerschlug das Eis mit der Faust. Nachdem Grani seinen Durst gelöscht hatte, zog der junge Mann Tunika und Hose aus. Er spannte die Muskeln in der frostigen Luft, kauerte sich zum Sprung zusammen und landete mit einem riesigen Satz mitten im Teich. Das Eis barst unter dem Aufprall, die Kälte nahm ihm den Atem, und ein heftiger, greller Schmerz zuckte durch seine Adern. Lachend zertrümmerte er noch mehr Eis und planschte laut im eiskalten Wasser. Schnell rieb er sich mit den Händen sauber, brach das dünne Eis und watete zurück zum Ufer. Dort trocknete er sich mit dem Umhang ab und zog, so schnell er konnte, seine Sachen wieder an. Zu Hause traf er nur Hildkar an, der auf einen Ellbogen gestützt auf seinem Lager lag, Sigfrid mit rotgeränderten Augen anstarrte und sich den Kopf hielt.
    »Ohh!« stöhnte er, »wo bist du letzte Nacht gewesen? Warum hast du vom Wein keinen Kater wie alle anderen?«
    »Ich dachte, das Feiern beginnt erst heute abend«, erwiderte Sigfrid erstaunt. Hatte er sich etwa im Tag geirrt? Aber Regin hatte doch gesagt...
    »Wir waren in der römischen Siedlung weiter unten im Tal. Du hättest mitkommen sollen. Dort gibt es ein Haus mit Frauen, wo man alles haben kann... du weißt schon, was ich meine.« Er grinste Sigfrid vielsagend an. »Klodwig ist vermutlich noch dort. Er hat schlapp gemacht. Ich hätte ihn auf meinem Pferd mitnehmen können, aber ich weiß nicht, ob das in seinem Sinn gewesen wäre ...« Der junge Mann wälzte sich stöhnend auf den Rücken. »Bei den Göttern, mir platzt der Kopf. Sigfrid, könntest du mir etwas Wasser holen?« »Wenn du mir deinen Kamm leihst...«
    »Du kannst meinen ersten Sohn haben, wenn du willst. Bitte, ich sterbe.«
    Sigfrid lief mit einem kleinen Tonkrug hinunter zum Bach. Als er wiederkam, streckte Hildkar gierig die Hand danach aus und leerte den Krug in einem Zug.
    »Aah! Das tut gut. Ich glaube, mein Kamm liegt unter dem Bett.« Sigfrid legte sich auf den Bauch und suchte auf dem Boden unter den Sachen von Hilkar, bis er den grobzahnigen Kamm aus Bronze fand. Dann setzte er sich, klopfte den Staub von der Tunika und

Weitere Kostenlose Bücher