Rheingold
zerbrochen?«
»Ich habe sie auf den steinernen Amboß geschlagen, um sie zu erproben.«
Herwodis betrachtete ihren Sohn, aber Sigfrid hatte den Eindruck, daß der Blick ihrer grauen Augen wie Licht durch ein Fenster fiel und sie durch ihn hindurch sah.
»Man schneidet eigentlich mit einem Schwert keinen Stein, auch nicht mit Klingen, die von Zwergen geschmiedet wurden«, sagte sie schließlich. »Du hattest sicher einen Grund dafür.«
»Ich habe es getan, weil ich es tun mußte.« »Nicht viele wagen es, an Regins Können zu zweifeln. Und auch wenn du mit deiner ganzen Kraft zuschlägst, so zerbrechen seine Schwerter wohl kaum an einem Helm oder einem Kettenhemd. Was hast du mit einem Schwert im Sinn, das Stein zerschneiden soll?« »Ich möchte Fafnir, den Drachen, töten«, erwiderte Sigfrid. Seine Worte klangen in der leeren Halle so laut wie klirrendes Glas.
Herwodis umklammerte den Stiel des Pokals und hob den Krug mit der anderen Hand, die so zitterte, daß sie beim Füllen etwas Wein vergoß. Dann, als habe sie es beinahe vergessen, füllte sie auch Sigfrids Glas.
»Was ist los?« fragte Sigfrid, »gibt es etwas, das ich wissen müßte?«
»Als dein Vater und ich auf seiner letzten Fahrt in den Norden aufbrachen, um sein Volk in den Süden zu bringen, kamen wir am Fuß des Drachenfelsens vorbei. Ich glaube, ich bin nicht feige, aber ich konnte nur ganz kurz zur Höhle des Drachen hinaufblicken. Ich habe gehört, daß Fafnir die Tarnkappe trägt, und deshalb kann kein Mensch wagen, gegen ihn zu kämpfen. Dein Vater blickte lange zur Drachenhöhle hinauf. Er legte die Hand um seinen Schwertgriff, und er sagte zu mir, er werde eines Tages den Kampf gegen Fafnir wagen. Wenn er nicht in der Schlacht gefallen wäre...«, Herwodis hustete plötzlich und trank schnell einen Schluck Wein. Sigfrid sah ungeweinte Tränen in ihren Augen glänzen. Erregt beugte er sich vor, und noch bevor er seine Worte überdenken konnte, brach es wie ein Aufschrei aus ihm heraus: »Was ist aus seinem Schwert geworden?« Der Pokal, den Herwodis in der Hand gehalten hatte, fiel klirrend zu Boden und zersprang in tausend Stücke. Sie wurde bleich. Die kräftigen Wangenknochen schienen noch mehr hervorzutreten. Einen Augenblick glaubte Sigfrid, seine Mutter zu sehen, wie sie in ihrer Jugend gewesen war, aber im nächsten Moment blickte er in das Gesicht einer reifen Frau. »Sigmund vertraute mir die zwei Stücke seines zerbrochenen Schwerts an. Ich habe sie an einem geheimen Platz bei König Chilpirich versteckt, wo niemand sie finden und hervorholen kann.« Sigfrid griff nach den Händen seiner Mutter. Ihre Haut war eiskalt. »Gib sie mir. Ich möchte sie haben!« sagte er. Unwillkürlich drückte er dabei ihre Hände fester.
Plötzlich erwiderte Herwodis den Händedruck mit einer Kraft, die ihn überraschte. »Du wirst mit diesem Schwert großen Ruhm erringen«, flüsterte sie, und ihre Stimme klang plötzlich heiser und gequält. »Zum Ostarafest werden wir Chilpirich in seiner Halle besuchen. Dann werde ich dir das Schwert deines Vaters geben, damit die beiden Hälften wieder zusammengeschmiedet werden können.«
Tränen rannen über ihre Wangen, als sie noch leiser hinzufügte: »Die Nornen spinnen die Fäden des Schicksals nach ihrem Willen. Ich wußte, daß dieser Tag kommen würde, aber... es ist schon so lange her, und ich hatte beinahe vergessen, mich darauf vorzubereiten.«
»Warum weinst du, Mutter? Ich glaube, weder du noch ich müssen etwas fürchten.«
Herwodis trocknete sich mit dem goldbestickten Ärmel ihres roten Kleids die Augen. »Natürlich nicht, Sigfrid«, sagte sie energisch und rückte ihre Frisur zurecht. »Du wirst ohnehin das tun, was du tun mußt. Ich werde dir das Erbe deines Vaters nicht vorenthalten, denn damit würde ich gegen seinen Willen handeln. Nein, es gibt wahrhaft keinen Grund, Tränen zu vergießen.«
Sie erhob sich und klatschte in die Hände. »Claudia!« rief sie, »sag den Männern, sie sollen genug Feuerholz hereinbringen. Wir haben noch viel zu tun, und es wird bald dunkel.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?« fragte Sigfrid. Herwodis sah ihn zerstreut an und nickte dann ernst. »Entschuldige dich bei Regin und frage ihn sehr freundlich, ob er heute zum Fest in die Halle kommt. Ich glaube«, fügte sie langsam hinzu, »er verdient mehr Dankbarkeit, als du ihm offenbar entgegenbringst.« Sigfrid war verlegen. »Vielleicht hast du recht«, murmelte er. Dann hob er den Kopf und sah
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