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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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knochigen Finger waren geschwollen. Ein blauer Schimmer lag wie ein Schleier um die blassen Lippen und die tiefliegenden Augen. Aber die beiden begrüßten ihre Gäste mit großer Freude, und, wie Sigfrid fand, beinahe noch überschwenglicher als sonst. Möglicherweise würde Alprecht nicht mehr oft in Chilpirichs Halle kommen. Er schüttelte den Kopf, als wolle er den dunklen Gedanken vertreiben, und lächelte Perchte an, die wie jedesmal darüber staunte, daß er noch größer geworden war. Er umarmte sie so behutsam wie einen Schmetterling, den er vorsichtig in der Hand halten mußte, um ihn nicht zu zerdrücken.
    Es fiel Sigfrid schwer, sich zurückzuhalten und schweigend zu warten, während die Trinkhörner mit Perchtes starkem Bier herumgereicht und wieder gefüllt wurden. Er blieb auch noch still sitzen, als die beiden Könige und ihre Frauen miteinander sprachen und Neuigkeiten austauschten.
    »Wirklich Neues gibt es im Land der Burgunder«, sagte Alprecht. »Gebika ist kurz vor den Winternächten an einer heimtückischen Krankheit gestorben, und sein Sohn Gunter ist zum König gewählt worden. Man erwartet Großes von ihm. Wir haben gehört, daß er seine Krieger um sich versammelt hat und die Römer zu einem neuen Vertrag zwingen will. Es ist offenbar sogar möglich, daß er eine Stimme im römischen Reich fordert.«
    »Und was wird aus deinem Bündnis mit den Burgundern?« fragte Chilpirich. Er strich sich langsam über den Bart und sah Sigfrid an: »Wird es bei deinem Verlöbnis bleiben, mein Junge?« Sigfrid wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Erst jetzt wurde ihm bewußt, wie wenig Zeit er im vergangenen Winter mit Alprecht und seinen Leuten verbracht hatte, denn diese Dinge waren auch für ihn völlig neu.
    »Es gibt keine Anzeichen dafür, daß Gunter sich nicht an das Bündnis hält, das sein Vater durch Gudruns Verlobung mit uns geschlossen hat«, antwortete Herwodis. »Man erzählt auch, daß seine Mutter Krimhild noch immer in allen Fragen als Ratgeberin großen Einfluß hat. Und damals wollte vor allem sie das Bündnis.«
    »Krimhild gilt als kluge Frau«, sagte Chilpirich höflich, aber seine Stimme verriet nicht, was er wirklich dachte.
    »Wir haben mehr von dem anderen Sohn der Burgunder gehört«, fügte Perchte hinzu. »Hagen ist nach den Mittsommertagen zu Attila geritten und kämpft in seinem Heer. Inzwischen hat er sich als Krieger einen ebenso guten Ruf erworben wie ein Franke namens Waldhar. Man sagt, daß sich viele Goten in Attilas Streitmacht befinden. Sie sammeln sich um Dietrich, der sein Land verlassen mußte.«
    »Was ist mit den Hunnen?« fragte Alprecht. »Hört ihr auf dieser Seite des Rheins mehr von ihnen?«
    »Sie nehmen sich hier etwas und dort etwas mit brutaler Gewalt«, antwortete Chilpirich. »Zur Zeit scheinen sie mit den Römern in Frieden zu leben. Aber das kann sich von heute auf morgen ändern.«
    Sigfrid hörte dem Gespräch zu, bis er sich nicht länger zurückhalten konnte. Er sprang plötzlich ungestüm auf, als habe ihn eine hohe Welle erfaßt. Chilpirich, Alprecht, Perchte und Herwodis sahen ihn erstaunt an.
    »Mutter«, sagte er so ruhig wie möglich, »ich glaube, es ist Zeit...«
    »Ach ja«, murmelte Herwodis und erhob sich ebenfalls. »Wir werden eine Weile weg sein«, erklärte sie den anderen, »bitte habt Verständnis für unser schlechtes Benehmen, aber Sigfrid und ich... wir müssen etwas erledigen.«
    Perchte lachte freundlich. »Herwodis, du mußt dich nicht entschuldigen. Können wir euch helfen?«
    »Ich glaube nicht«, erwiderte Herwodis, »trotzdem vielen Dank. Komm, Sigfrid.«
    Sigfrid folgte seiner Mutter aus der Halle. Sie schritt würdevoll und langsam durch den breiten Mittelgang. Der Schlüsselbund klirrte leise an der Hüfte ihres rotbraunen Kleides. Der dunkelgrüne Umhang blähte sich, als ihn draußen der eisige Wind erfaßte. Sie zog ihn fest um sich.
    Zusammen gingen sie um die Halle herum zu den Vorratshäusern. Als sie das letzte erreicht hatten, löste Herwodis mit steifen Fingern umständlich einen großen Eisenschlüssel vom Bund, während Sigfrid ungeduldig wartete. Sie schob den Schlüssel in das rostige Schloß und drehte und bewegte ihn lange hin und her. Sigfrid wollte ihr gerade seine Hilfe anbieten, als sich der Schlüssel quietschend bewegte und das Tor aufging.
    Stickiger Geruch von altem Leinen, Wolle und Fellen schlug ihnen entgegen. Als Sigfrids Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah er zwei

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