Rheingold
sagte Loki gelassen, »es scheint dir nicht besonders gut zu gehen. Wäre es nicht besser, du nimmst deine natürliche Gestalt an, damit wir bequemer miteinander reden können? Ich möchte dir ein Angebot machen. Es geht darum, daß ich dir die Möglichkeit geben möchte, aus dem Netz herauszukommen und nicht für das Abendessen gebraten zu werden.«
Loki lockerte das Netz ein wenig. Die Schuppenhaut des Hechts öffnete sich am Bauch, und der Zwerg kroch aus seiner Fischgestalt. Andravari war nicht größer, als der Hecht lang gewesen war. Er hatte kurze krumme Beine, einen dicken Bauch, einen
struppigen schwarzen Bart und ein Gesicht, so faltig und rissig wie vom Wasser ausgehöhlter Sandstein. Er starrte Loki giftig an. Der Ring glänzte an seinem Finger. Es war ein bis auf die kleinste Schuppe in Gold getriebener Drache, der sich um einen riesigen Sternrubin wand. Die Schönheit der kunstvollen Arbeit stand in einem überraschenden Gegensatz zu dem gekrümmten, haarigen Finger, um den sich der Drachenschweif ringelte.
»Was willst du?« brummte Andravari mit rauher Baßstimme. »Ich habe keine Zeit für deine Spielchen, und ich habe nichts, was für dich von Bedeutung ist. Geh und laß mich in Frieden.«
»Du irrst dich, alter Zwerg«, erwiderte Loki, »du hast etwas, das für mich von allergrößter Bedeutung ist: Du hast den Schlüssel zum Rheinschatz. Ich will das Gold - ich will es ebenso sehr wie du dein Leben, vielleicht sogar noch etwas mehr. Wir können darüber streiten, aber darauf läuft es hinaus.« Er zog sein schmales Schwert und setzte es Andravari durch eine Masche im Netz an die Kehle. »Habe ich eine Wahl?« brummte Andravari.
»Nein. Loki hat dich in einem Netz gefangen, aus dem nur zwei Wege herausführen. Der eine ist, daß du mir das Gold gibst, der andere durch dieses Schwert. Entscheide dich schnell. Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
Andravari holte Luft, als wolle er etwas sagen. Die Schwertspitze preßte sich etwas fester gegen seinen Hals.
»Eine Frage, Andravari, ehe wir das Werk beginnen. Welches Schicksal erwartet alle, die lügen, wenn sie in Nifhels Reich kommen?«
»Sie stehen hüfthoch in dem mit Dolchen gespickten Eisstrom Wathgelimir, der aus dem Brunnen Hvergelmir entspringt und in die Tiefen von Niflheim fließt. Lange müssen sie im Strom des Leidens ausharren«, erwiderte der Zwerg. »Unglück auf dein Haupt, der du ein Meister der Lüge bist.«
»Du bist ein sehr kluger Zwerg, wenn du deine List nicht bei dem schlauen Loki erproben willst«, rief Loki selbstgefällig. »Also hinab zum Gold des Rheins, und sei du mein vertrauenswürdiger Führer. Aber eine falsche Bewegung, und wir werden erleben müssen, daß Rans Netz dich schneller erwürgt, als mein Schwert dir die Kehle durchschneiden kann.«
Andravari streifte leise schimpfend und fluchend die Fischhaut wieder über den häßlichen Zwergenleib; Loki hob das Netz und sprang damit ins Wasser. Er lockerte es soweit, daß der Hecht vorausschwimmen konnte.
Der Gott und Andravari schwammen einige Zeit flußaufwärts. Dann bog Andravari zur Seite und zog Loki zu einem großen, vom Fluß geglätteten Felsen. Als sie in den Stein glitten, lösten sich die schimmernden Schuppen des Hechts von dem Zwergenleib, denn im Stein, aus dem er geformt war, mußte Andravari seine wahre Gestalt annehmen. Er stand dunkel und gebückt im schwarzen Felsgestein des Rheins, das sein Reich war, und führte Loki zögernd zu einer großen Höhle.
Überall leuchtete Gold; es lag gehäuft auf dem Boden und funkelte aus allen Felsspalten: römische Goldmünzen, Brakteaten mit Runen aus dem Norden, Hals- und Armringe aus Goldfäden, die geflochten waren oder sich als schimmernde Spiralen auf den Kostbarkeiten wanden. Dicke Bernsteinketten zogen sich durch das aufgetürmte Gold wie das rotglühende Rückgrat von Schlangen. Edelsteine blitzten rot oder dunkel als Schmuck auf Broschen, die wie Boote gearbeitet waren; goldene Scheiben und Platten trugen eingeritzte Wellenmuster, die für das Auge zu kunstvoll waren, um ihrem Verlauf zu folgen. Tierköpfe mit Juwelenaugen leuchteten an den Spitzen von vermodernden Trinkhörnern und an den Verschlüssen goldener Torques. Spiralige Ringe lagen ineinander verschlungen am Boden und wanden sich wie kleine Nattern in ihren Nestern. Verwoben mit dem Gold war überall die noch hellere Flamme der Magie; sie funkelte rot durch geritzte Runen, schwebte über Speerspitzen mit eingravierten goldenen
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