Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
Wollkleid. Das blonde Haar der schwangeren Frau war strähnig und die spitze Nase rot.
    Als Sigfrid sie ansah, wandte die Frau den Kopf ab. Ihre rauhen Hände zitterten, als sie ihm das Bier in den Becher goß und ihm das Essen reichte.
    Ehe sie davonlaufen konnte, drückte ihr Sigfrid eine Glasperlenkette in die Hand, die er beim Würfeln gewonnen hatte. »Das ist für dich«, sagte er freundlich.
    Die Magd senkte den Kopf und bedankte sich flüsternd, ohne ihn anzusehen. Dann eilte sie so schnell in die Küche zurück, als habe sie Angst vor Sigfrid.
    In der Nacht hatte er ein Zimmer für sich. Er schlief gut bei dem Geräusch des Regens, der auf das Dach trommelte, und dem heulenden Wind. Unbestimmt beschäftigte ihn der Gedanke, wie es Hagen wohl bei den Hunnen ergehen mochte. Lief er noch immer allein durch die Nacht, um geheimnisvolle Dinge zu tun? Und was mochten die Hunnen, dieses seltsame, trollähnliche Volk, von ihm denken? Es fiel Sigfrid schwer, sich Gunter als König des Landes vorzustellen, durch das er an diesem Tag geritten war. Und was war mit
    Gudrun? Wie mochte sie inzwischen aussehen? Er erinnerte sich nur an einen langen hellbraunen Zopf und den festen Druck ihrer kleinen Hand. Dann drängte sich das Gesicht einer anderen Frau in sein Bewußtsein. Sie hatte hohe Backenknochen, eine weiße, schimmernde Haut und glatte, lange hellblonde Haare. Als er versuchte, sie deutlicher zu sehen, verschwand sie in einem Nebel, den die Morgensonne durchbrach.
    Sigfrid machte sich früh am Morgen wieder auf den Weg. Es regnete hin und wieder, und zweimal begegnete er auf der Straße den Wachen der Burgunder. Sie redeten miteinander, nickten schließlich und ließen ihn ohne Förmlichkeiten passieren. Grani stieg und tänzelte auf den nassen Pflastersteinen der römischen Straße und zeigte den kleinen Pferden des Steppenvolkes und ihren Reitern seine Künste.
    Nachdem Grani über die Palisaden und Steinhügel am Rand der burgundischen Sümpfe gesprungen war, die die Landesgrenze markierten, wurde der Weg zunehmend schlechter. Schlamm und zertrampeltes braunes Gras bedeckten die römischen Pflastersteine. Nach einiger Zeit erreichte Sigfrid einen Fluß, der nach den Regenfällen angeschwollen war. Das braune Wasser schäumte am Ufer wie der Geifer eines tollwütigen Hundes.
    Eine breite, aber vernachlässigte Brücke führte über den Fluß. Die morschen Balken bogen sich gefährlich unter dem Gewicht von Grani und Sigfrid. Dreimal gaben sie nach, und nur der Schnelligkeit des grauen Hengstes war es zu verdanken, daß sie nicht in die brausenden Fluten stürzten.
    Auf der anderen Seite der Brücke erkannte man den Weg nur an vereinzelten Steinen. Grani zog bei jedem Schritt die Hufe aus dem tiefen Schlamm. Spärliches Korn wuchs wie dünnes strähniges Haar auf dem Kopf eines alten Mannes auf beiden Seiten des Weges. Auf den flachen braunen Hügeln standen nur vereinzelt kümmerliche Bäume. An den verkrümmten Ästen hingen noch ein paar abgestorbene Blätter vom vergangenen Jahr. Es regnete wieder heftiger. Das winterliche Land wirkte gespenstisch grau, und Sigfrid sah den Galgen neben dem schlammigen Weg erst, als er ihn erreicht hatte. Eine verwesende Männerleiche hing an dem roh gezimmerten Balken und schwang im Wind, der Sigfrid den üblen Gestank ins Gesicht trieb. Die leeren Augenhöhlen in dem weißen Schädel wirkten bedrohlich. Die spitzen Schnäbel der Raben hatten das Fleisch abgerissen. Die schmutzige Hose und die Tunika klebten in Fetzen am fauligen Fleisch. Neben dem Mann hing ein magerer Wolf. Unter dem räudigen Fell sah Sigfrid bläulich schwarzes Fleisch. »He, du alter Galgenvogel!« rief Sigfrid, »könnt ihr beide, du und dein Hund, mir den Weg zu Gripirs Halle zeigen? Ich habe schon bessere Wegweiser als euch gehabt oder zumindest fröhlichere. In eurer Gesellschaft gibt es bestimmt nichts zu lachen.« Er wartete einen Augenblick, ehe er Grani vorwärtstrieb.
    Nun ja, dachte er, wenn am Wegrand ein Wolf und ein Mann hängen, dann muß es auch einen Drichten geben, der sie zum Tode verurteilt hat. Der Proviant aus dem Wirtshaus war verzehrt, und Sigfrid hatte Hunger. Er trieb Grani zur Eile an und hielt in der regennassen Dämmerung Ausschau nach dem freundlichen Licht einer Halle. Früher oder später mußte er auf Menschen stoßen, daran zweifelte er nicht. Um sich die Zeit bis dahin zu vertreiben, begann er laut zu singen.
    Selbst Sigfrids scharfe Augen nahmen die dunkle Gestalt kaum

Weitere Kostenlose Bücher