Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
trockenen braunen Laub und fuhr ihm durch die Haare. Unter seinen Tritten knirschten die Eicheln. Er fuhr mit den Fingern über den Kristall an Grams Knauf und spürte das kühle Prickeln der ruhenden Kraft. Meist wurden im Hain keine Waffen getragen, aber Sigfrid wollte sein Schwert heute nicht ablegen.
    Herwodis und Alprecht warteten bereits auf der Lichtung zu beiden Seiten des flachen Steins. Dahinter stand die riesige Eiche mit der in den Stamm geschnitzten bärtigen Gestalt von Zier. Es war die Irmensäule der Alemannen, die ihre Macht stützte. Die runden Augen des Gottes blickten so streng auf Sigfrid, als bedenke der Gott seinen Wert. Sigfrid hoffte, die Waage werde heute zu seinen Gunsten ausschlagen und ihm ein gutes Geschick verheißen.
    Über den flachen Stein war ein weißes Tuch gebreitet. Darauf stand ein kleiner Beutel aus abgenutztem Hirschleder. Sigfrid hatte diese Dinge nicht mehr gesehen, seit er sieben gewesen war; damals hatten Chilpirich und Alprecht das Orakel in Anwesenheit des ganzen Volkes befragt, um herauszufinden, ob sich die Alemannen den anderen Stämmen anschließen und den Rhein überqueren sollten. Neben dem Lederbeutel lag ein riesiges Horn; Mundstück und Schallöffnung waren mit getriebenen Silberspiralen so kunstvoll umwunden, wie Sigfrid das noch nie gesehen hatte. In das Silber waren geheimnisvolle Zeichen eingeritzt und Edelsteine eingelassen. An den Ösen, in denen vor langer Zeit der Tragriemen befestigt gewesen war, hingen noch die brüchigen Lederreste, aber das Silber glänzte strahlend im hellen Morgenlicht.
    Herwodis griff schweigend nach dem Horn und reichte es Sigfrid. Er begriff, daß er es blasen sollte, um die Krieger zusammenzurufen. Vor Aufregung bekam er einen trockenen Mund. Er befeuchtete mit der Zunge die Lippen, hustete und holte dann tief Luft. Der tiefe Ton war rauher und reiner als der einer römischen Tuba und drang weithin hallend durch die Luft. Sigfrids Körper erbebte. Als ihm schließlich die Luft ausging, glaubte er, die Wellen des Echos in seinem Schwert zu spüren. Sigfrid blies noch zweimal, und als der letzte Ton in den blaßgoldenen Strahlen der aufgehenden Sonne verhallte, waren die ersten verschlafenen Gefolgsleute bereits auf dem Weg durch den Wald zur Lichtung.
    Alprecht wartete, bis alle seine Gefolgsleute versammelt waren und das gefallene Laub des heiligen Hains nicht mehr unter den Tritten raschelte. Nur das Atmen der Männer und das sanfte Rauschen der Blätter durchbrach die Stille. Als er den Arm hob, wehte sein goldbestickter roter Mantel im Wind.
    »Ziw und Wotan, Donar, Fro Ingwe und Frowe Hulda. Ihr mächtigen Götter und Göttinnen hört uns!«
    Nach dem tiefen Ton von Sigfrids Horn klang Alprechts Stimme hoch und dünn, als er fragte: »Was ist dein Begehr, Sigfrid?«
    »Ich will gegen die Söhne Hundings kämpfen, damit sie wissen, daß nicht alle Wälsungen tot sind!« rief Sigfrid. »Sobald ich kann, will ich mit allen, die mir folgen wollen, über das Meer und durch die Stürme nach Norden in die Schlacht ziehen. Welche Zeichen geben mir die Götter für meinen Auftrag?«
    »Schweig!« sagte Herwodis. »Wir wollen die Götter sprechen lassen.«
    Zunächst geschah nichts. Der blaue Himmel strahlte, und der Wind raschelte in den braunen Blättern. Ein paar Männer bewegten sich unruhig, als Herwodis nach dem alten Lederbeutel griff und ihn von einer Hand in die andere gleiten ließ, als befänden sich darin Würfel. Allmählich drang die ungewöhnliche Stille in Sigfrids Bewußtsein wie ein Laut, der so machtvoll war, daß menschliche Ohren ihn nicht wahrnehmen konnten, und wie ein Licht, das zu klar für menschliche Augen war.
    Ehrfürchtig wartete er mit den anderen an dem heiligen Ort, bis das Band um den Beutel sich ein wenig lockerte, und Herwodis die Holzstücke mit den eingeritzten Zeichen auf den Stein schütteln konnte.
    Sie fielen fast lautlos auf das Tuch. Herwodis gab Sigfrid ein Zeichen, und er trat vor, aber er wußte nicht, was er tun sollte. »Schließe die Augen und wähle drei Zeichen«, flüsterte sie. Sigfrid schloß die Augen, streckte die Hand aus, und er spürte drei Holzstücke. Er schloß die Hand darum und gab sie seiner Mutter. Herwodis betrachtete die Zeichen, hob den Kopf, schwankte leicht, doch dann begann sie zu sprechen:
    »Es wird keine leichte Reise sein. Trotzdem glaube ich, du kannst gewinnen, wenn du den Rat befolgst, den man dir unterwegs gibt. Du kannst dich diesem Kampf nicht

Weitere Kostenlose Bücher