Rheingold
entziehen, wenn du kein Feigling bist, und ich glaube, kein Wälsung ist ein Feigling.« Sie sammelte die Holzstücke wieder ein, legte sie in den Beutel zurück, verschnürte ihn und wickelte ihn behutsam in das weiße Leinentuch. Sigfrid spürte plötzlich die Blicke der versammelten Menge auf sich wie Hände, die ein Goldstück auf seine Echtheit überprüfen. Er sah Alprecht an, der zu einer majestätischen Säule erstarrt zu sein schien, und blickte sich dann nach Regin um, ohne ihn irgendwo zu entdecken. Was kann ich tun, dachte er. Was soll ich tun? Er wartete ratlos.
Hildkar stand in der ersten Reihe. Seine ungekämmten dunklen Haare waren am Hinterkopf in einem Knoten gefaßt, so daß es aussah, als habe er einen Kopf wie ein Burgunder. Wie viele andere hatte er die verschlafenen Augen halb geschlossen. Neben ihm stand Adalprant. Die lange Narbe entstellte das Gesicht. Und da war auch Perchtwin, der sich das violette Muttermal auf der Stirn rieb. Dort unter dem dicken Ast leuchtete Klodwigs rotes Haar im Sonnenlicht, und Kuniberts kleine dunkle Augen funkelten unter den buschigen Brauen, während seine behaarten Finger gegen den Beutel an seinem Gürtel klopften. Plötzlich begann Sigfrid, zu den Männern, die den größten Teil seines Lebens Gefährten und Lehrer für ihn gewesen waren, zu sprechen, wie er mit jedem einzelnen von ihnen gesprochen hätte.
»Wir haben unserem Land lange den Frieden bewahrt«, sagte er. »Ich konnte hier ungestört und in Ehren aufwachsen. Dank unserer Stärke bedroht uns kein Feind - aber viele von uns sind junge Männer, die noch nie in die Schlacht gezogen sind, wie Krieger es tun sollten. Ich habe einen Schwur abgelegt, daß ich Sigmund, den Wälsung, vor Mittsommer rächen werde. Das ist mein Kampf, und wenn niemand mich begleiten will, muß ich allein gehen. Aber wenn ihr mir in den Norden folgen wollt, so kann ich euch Schlachtenruhm und Schätze versprechen. Ich habe gehört, daß die Sachsen reiche Seeräuber sind, die die Küsten
von Britannien und Gallien heimsuchen. Mir erscheint es nur richtig«, fügte er lächelnd hinzu, »sie um einen Teil der Beute zu erleichtern, die sie unseren guten Freunden, den Römern, abgenommen haben.« Die Männer lachten - besonders die alten, die sich daran erinnerten, wie der Vertrag zustande gekommen war, durch den die Alemannen das Land westlich des Rheins bekommen hatten. »Werdet ihr mich begleiten?« fragte Sigfrid nun ernst. »Frowe Herwodis sagt, es wird keine leichte Reise sein. Ich habe die Nordsee noch nie gesehen, weder im Sommer noch im Winter. Ich weiß nur, ich muß gehen, und wenn es bedeutet, daß ich mein Schwert gegen Ägir selbst heben muß. Wenn die Reise und der Kampf auch hart sind, so werden wir doch große Schätze gewinnen, und die Lieder werden unseren Ruhm in allen Ländern verkünden.« Er ließ den Blick über Alprechts Gefolgsleute schweifen und sah dabei jeden prüfend an. Dann sprang er mit einem großen Satz auf den Stein. Das Sonnenlicht füllte seine Augen mit dem Strahlen leuchtender Helligkeit. Er stand breitbeinig und sicher auf dem Heiligtum, schob die langen Haare, die über seinen blaßblauen Umhang fielen, aus dem Gesicht und zog Gram aus der Scheide. Das Schwert glänzte in der Morgensonne.
»Seht her!« rief er. »Ich werde meine Aufgabe erfüllen, in Sturm und Kampf. Wenn ich scheitern oder wenn ich schwach werden sollte, ist mein Tod das einzige, mit dem der Preis dafür bezahlt werden kann.« Er ritzte sich mit der Schwertspitze den Arm und ließ das Blut auf den Stein tropfen. »Wer will sich mir anschließen?«
Hildkar trat als erster vor. Das Licht, das sich auf Sigfrids Schwert brach, hatte den letzten Schlaf aus seinen Augen vertrieben, und sein blasses Gesicht wirkte in seiner Erregung sehr offen. Er berührte einen Blutstropfen, der bereits auf dem Stein trocknete. Nach ihm bahnte sich Otkar einen Weg durch die anderen Gefolgsleute; ihm folgten Agilo, Perchtwin, Theobalt und Kunibert; dann kamen sie zu zweit und zu dritt zu dem Stein, auf dem Sigfrid stand. Er hatte die Hände zu den Göttern erhoben; in der rechten Hand hielt er Gram, und vom linken Arm tropfte das Blut. Schließlich drängten sich beinahe die Hälfte von Alprechts Kriegern um den Stein, und jemand rief: »Es lebe Sigfrid!« Die anderen nahmen den Ruf auf.
Sigfrid blickte durch das blendende Licht auf sie hinunter, und das Herz schlug gegen seine Rippen, als er begriff, daß sie ihm vertrauten, obwohl er
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