Rheingold
legte Gram in die Mitte. »Dieses Schwert muß in den drei Nächten zwischen uns liegen.«
Er hörte, wie Brünhild ein Schauer überlief und sie langsam Luft holte. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er ihre schlanke Gestalt wie einen hellen Schatten auf dem weißen Laken.
»Warum?« fragte sie.
»Das Schicksal verlangt es von mir, oder ich muß sterben.«
»Dann soll es so sein«, erwiderte Brünhild leise. Sigfrid legte sich auf seine Seite und schloß die Augen. Er schlief schnell ein, aber sein Schlaf war unruhig, denn er fühlte Brünhilds Leid, ohne daß er ihr helfen konnte.
*
Am Morgen des dritten Tages hüllten dicke Wolken den Gipfel ein. Brünhilds Burg verschwand im grauen Dunst. Als Sigfrid ins Freie trat, mußte er sich den Weg zum Stall fast ertasten. Der Feuerring schien erloschen zu sein, denn kein Licht drang durch den Nebel. Brünhild sattelte bereits ihre Stute. Sie hob nicht den Kopf, als er neben ihr stand, sondern sagte nur: »Wenn du bereit bist, können wir die Burg verlassen, Gunter. Es gibt keinen Grund, hier noch länger zu bleiben.«
Sigfrid führte Grani aus dem Stall, zäumte und sattelte ihn. »Was sollen wir mitnehmen? Grani kann alles tragen, was dir wichtig ist.«
»Ich habe hier nichts von Bedeutung«, erwiderte sie, »wir reiten zuerst zu meinem Vater, um meine Mitgift in Empfang zu nehmen. Theoderid wird nicht zur Hochzeit nach Worms kommen, aber er wird uns von einem ehrenvollen Gefolge begleiten lassen.«
»Gut. Wo sind deine Mägde?«
»Sie folgen uns später, wenn hier alles geordnet ist.«
Brünhild hob den blaßgrünen Rock und schob ihn energisch zur Seite. Dann bestieg sie den Schimmel. »Folge mir«, rief Brünhild und trabte davon.
Plötzlich wurde es dunkel, als sei die Sonne hinter schwarzen Wolken verschwunden. Sigfrid sah in dem grauen Dunst nichts mehr. Grani stieß gegen einen verkohlten Speer und trat auf zwei Schilde, aber er lief unbekümmert weiter. Sigfrid überließ sich dem sicheren Instinkt seines Pferdes. Von Brünhild war nichts zu sehen und nichts zu hören. Schließlich entschloß er sich zu rufen. Undeutlich glaubte er, Hagens hohle Stimme vor sich zu hören: »Brünhild! Gunter!« Sigfrid ließ Grani galoppieren, und im nächsten Augenblick sah er seine eigene Gestalt neben Goti stehen. Er sprang von Granis Rücken, umfaßte Gunters Hände und versenkte den Blick in die leuchtenden blauen Augen. Ein tiefer Atemzug, der ihm den kalten, feuchten Nebel in die Lungen holte, und Sigfrid sah wieder Gunter vor sich. Schnell nahm er die Tarnkappe ab und schob sie in den Gürtelbeutel. »Sigfrid!« rief Brünhild und erschien wie ein Geist aus dem Nebel. Sie starrte ihn wie gebannt an. »Sigfrid, Sigmunds Sohn, wo bist du gewesen?« Und als er verwirrt schwieg, rief sie: »Sigfrid, der Drachentöter, gib mir Antwort!«
»Ich... ich habe hier gewartet, während Gunter durch die Flammen geritten ist, um dich als Braut zu gewinnen.«
»Er war bei mir in den vergangenen drei Tagen.«
Hagen trat aus dem Nebel.
Brünhild achtete nicht auf Hagen, denn sie durchschaute den Betrug. »Sigfrid, du bist durch die Flammen geritten, als meine Seele im tiefen Schlaf lag. Dir habe ich meine Liebe geschenkt, und du hast geschworen, mich als Braut zu gewinnen...« Sie stieß einen langen Klagelaut aus und rief: »Sigfrid, was hast du mir angetan?«
»Was hast du getan?« wiederholte Gunter leise und starrte entsetzt auf die geisterhafte Erscheinung im Nebel.
»Du trägst Gunters Ring, und du hast dich mit ihm in deiner Burg verlobt!« rief Sigfrid zurück. »Ich habe meinen Eid nicht gebrochen. Ich
habe mich schon vor vielen Jahren mit Gudrun, Gebikas Tochter, verlobt. Und Gudrun werde ich heiraten.«
Hatte ihn die Tarnkappe nicht geschützt? Wie war es dieser Frau gelungen, den Zauber zu durchschauen?
»Gunter hat mich gezwungen, seine Braut zu werden. Aber er ist kein Wälsung, und er konnte die Flammen nicht bezwingen, die Wotan um meine Seele hat brennen lassen. Warum nur hat der Gott mich so verraten? Warum entreißt er mich dir, obwohl wir schon so lange getrennt waren?«
»Ich habe dich noch nie in meinem Leben gesehen!« rief Sigfrid und sprang auf Granis Rücken. Der graue Hengst stieg, wieherte und schlug wild mit den Vorderhufen in die Luft. »Ich habe genug von diesem Wahnsinn!« rief Sigfrid, als Granis Hufe auf den Boden prallten. »Gunter, bring deine Braut zur Halle ihres Vaters! Ich reite zurück und berichte
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