Rheingold
Schaum. Der Hengst verdrehte die dunklen Augen wie geblendet. Er sank mit den Vorderbeinen auf den Boden und begann, in weiten Kreisen um den Hof zu laufen. »Granit« rief Gudrun entsetzt, als der graue Hengst plötzlich den Kopf bis auf den Boden sinken ließ. »Was hast du? Was ist geschehen?«
Jemand muß ihn töten, dachte sie, Sigfrid darf das nicht sehen. Aber noch ehe sie um Hilfe rufen oder selbst Pfeil und Bogen holen konnte, richtete sich Grani wieder auf und galoppierte
auf die Mauer zu. In einem atemberaubenden Sprung setzte er darüber und war verschwunden.
»Was hat das zu bedeuten?« flüsterte Gudrun. Sie rannte erschrocken zur Halle zurück. Als sie Haridad sah, eilte sie zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Haridad sah sie mit ängstlich aufgerissenen Augen an und fragte: »Was ist?«
Gudrun hörte die Angst in der Stimme der Magd und wußte, jetzt mußte sie stark sein. »Geh zu Costbera und sage ihr, sie soll mir meinen Sohn bringen.«
»Ja, Frowe, aber Costbera ist jetzt bei ihrem abendlichen Gottesdienst.«
»Ach ja... natürlich. Aber wo ist mein Sohn?« »Ich... ich weiß nicht, Frowe«, stammelte Haridad und zog verschreckt an ihren braunen Zöpfen, »vielleicht sind die Kinder bei ihrer Magd oder... ich weiß es wirklich nicht... Au, du tust mir weh!«
Als Gudrun sah, wie fest sie die Finger um die Schultern der Magd gelegt hatte, zog sie die Hände zurück. »Geh und suche sie!«
Haridad eilte davon, und Gudrun bemerkte, wie die anderen Frauen sie anstarrten. »Geht an eure Arbeit«, sagte sie so ruhig wie nur möglich, »Frederike, du mußt das Brot aus dem Ofen holen und wirf auch einen Blick auf die Suppe. Die Jäger werden bald zurück sein und großen Hunger haben.«
Gudrun setzte sich wieder auf ihren Platz und preßte die Zähne zusammen, um nicht laut zu stöhnen. Sie starrte auf den dunkler werdenden Himmel, der sich langsam schwarz färbte. Als sie das Warten nicht mehr ertragen konnte, stand sie auf. »Ich gehe in meine Kammer«, sagte sie zu den Frauen, »jemand soll mir Bescheid sagen, wenn die Jäger kommen oder Haridad meinen Sohn bringt.« Sie schwieg und deutete dann auf die größte und kräftigste Magd. »Herburg, du hältst vor Brünhilds Tür Wache. Laß sie nicht aus dem Zimmer, bis alle wieder da sind, und höre nicht auf das, was sie möglicherweise sagt.« »Ich fürchte mich nicht vor ihrem Zauber, Frowe«, erwiderte Herburg und legte die Hand auf das Amulett an ihrem Hals - einen kupfernen Fisch mit Runen, die Gudrun nicht kannte, »ich werde aufpassen.«
*
Zitternd eilte Gudrun in ihre Kammer und legte sich auf das Bett. Sie zog die mit Gänsefedern gestopfte Bettdecke über sich und zitterte trotzdem. Vielleicht bekomme ich wieder ein Kind, dachte sie. Solche Schauer hatte ich auch während der Schwangerschaften. Sie erinnerte sich, wie Sigfrid sie liebevoll auslachte, als unberechtigte Ängste und heftige Zornesausbrüche sie wie ein plötzlicher Wirbelwind erfaßt hatten, als die Kinder in ihrem Leib heranwuchsen. Er hatte mit seinen großen Händen ihren Kopf gestreichelt und sie beruhigt. Gudrun drehte sich auf den Rücken und legte die Hände auf ihren Bauch, als wollte sie das ungeborene Leben dort schützen. Sie hatte doch selbst oft gesehen, wie Sigfrid unverletzt Stöße, Hiebe und Schläge überstand, die andere Männer das Leben gekostet hätten. Seine Krieger hatten keine Übungsschwerter, wenn sie mit ihm trainierten, da ihm Stahl nicht einmal die Haut ritzen konnte. Gudrun wußte, um Sigfrid sollte sie sich keine Sorgen machen, aber trotzdem hörte das Zittern nicht auf.
Vielleicht habe ich Fieber, dachte sie, drehte sich auf die andere Seite und zog die Beine an. Sie befühlte die Stirn. Die Haut war kühl, aber mit kaltem Schweiß bedeckt wie die Wassertropfen auf einem Glaskrug, der mit eiskaltem Wasser gefüllt ist. Ich muß mich ausruhen, dachte sie, vielleicht ist es das Beste, wenn ich jetzt schlafe, denn morgen zum Fest muß ich wieder frisch und munter sein. Ja, ich muß schlafen. Wenn ich wieder schwanger bin, dann brauche ich bis zu der Geburt meine ganze Kraft...
Minne sprang miauend auf das Bett. Gudrun streichelte die Katze und atmete langsamer und gleichmäßiger. Wie gut, daß ich Minne mitgenommen habe und sie jetzt bei mir ist, dachte Gudrun, und endlich gelang es ihr, sich zu entspannen. Das Zittern ließ nach. Schließlich schlief sie ein. Aber sie wälzte sich unruhig im Bett, rang nach Luft und
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