Rheingold
plötzlich zur Seite und verschwand. »Wenn unter uns ein Feigling ist, der jetzt noch fliehen möchte, dann muß er elend in diesen Fluten ertrinken«, sagte Hagen und gab Folker die Axt zurück.
Der blonde Sänger hob sie hoch und rief: »He, Hagen, das ist ein großes Wort! Wir bleiben zusammen und kämpfen zusammen!«
*
Ein dichter Wald reichte bis an das Ufer der Donau. Der Weg führte sie mitten durch hohe Tannen. »Wir werden bald Rodgers Halle erreichen«, sagte Hagen, als sie auf einer Lichtung das Lager aufschlugen. »Von jetzt ab müssen wir vorsichtig sein, denn er hat Attila die Treue geschworen. Ich weiß nicht, wie er uns empfangen wird.«
»Rodger gilt als ein ehrenvoller und großzügiger Mann«, erwiderte Gunter, während er mit Gernot die Pflöcke für das Zelt in den Boden schlug. »Hagen, versprich mir, daß du keinen seiner Leute angreifst, wenn du nicht angegriffen wirst.«
Hagen suchte in der Mitte des Lagers einen geeigneten Platz für eine Feuerstelle. Am Himmel hingen schwarze Wolken. Sein Kettenhemd wurde immer kälter. Vielleicht wird es heute nacht schneien, dachte er. »Versprichst du es mir?«
»Ich gebe dir mein Wort.«
»Gut. Ich möchte wenn möglich Rodger als Freund gewinnen. Wenn er uns das Gastrecht gewährt, kann er uns nicht schaden. Es wäre noch besser, wenn er uns bis zu Attilas Halle begleiten würde.«
Gunter richtete sich auf. »So, das wäre geschafft! Hagen, du solltest heute im Zelt schlafen. So wie du aussiehst, würde dir etwas Ruhe gut tun.«
»Ja, Menschen ermorden ist schwere Arbeit«, sagte Giselher. Als ihn Gunters Ellbogen in die Seite traf, wich er mit einem Schmerzensschrei zurück. »He! Womit habe ich das verdient?«
»Denk darüber nach.«
Folker kam mit Holz zu der Feuerstelle, die Hagen vorbereitet hatte. Er legte die Zweige so übereinander, daß sie leicht anbrennen würden, und begann zu singen. Als die Krieger seine Stimme hörten, kamen sie zum Feuer, nachdem sie die Zelte aufgestellt hatten. Folker blies zwischen den Zeilen auf die Flammen, so daß die Funken sprühten. Er sang das Lied von Loki, der sich von Frowe Hulda das Federkleid eines Falken geliehen hatte, damit zu den Riesen flog und feststellte, daß der Riese Trum Donar den Hammer gestohlen hatte. Folker machte seine Stimme tief und heiser, als er den Riesen Trum singen ließ:
Ich habe Donars / Hammer gut versteckt
er liegt tief / in der Erde.
Niemand wird den / Hammer finden,
bis Frowe Hulda / meine Frau wird.
Gunter ließ ein Faß Wein öffnen. Die Männer füllten die Becher, während Folker in seinem Lied erzählte, wie Frowe Hulda in ihrem Zorn die Wurzeln der Bäume im Reich der Götter erzittern ließ und das goldene Halsband zerriß, das die Zwerge ihr gemacht hatten, denn sie wollte um keinen Preis die Braut eines Riesen werden. Die Krieger drängten sich dichter um das Feuer, tranken, aßen und lachten, als Folker erzählte, wie Donar sich als Braut verkleidete, und wie Loki ihn in Trums Halle führte und dem Riesen sagte, er habe Frowe Hulda zur Hochzeit überredet. Sie jubelten laut, als der Riese seiner Braut den Hammer gab, um die Hochzeit zu segnen, und wie er den Riesen erschlug und so seinen Hammer zurückgewann.
Gunter lehnte an einem Stein und lachte. Er nahm einen goldenen Reif vom Arm und warf ihn Folker zu. Hagen sah, wie unbeschwert sein Bruder aussah, so wie er ihn aus der Kindheit kannte. »Sing uns noch etwas, sing noch so lustiges Lied, Skop«, sagte Hagen.
»Wenn ich dich zum Lachen bringen könnte, würde ich die ganze Nacht lang singen«, erwiderte Folker, »was möchtest du hören?«
Hagen dachte an die Lieder, die er kannte -Lieder, die er mit seiner Stimme nicht singen konnte, aber deren Worte und Melodien er kannte. Eine gewisse Schwermut erfaßte ihn, weil er sich sein Leben lang nur mit dunklen, blutigen Dingen beschäftigen mußte, weil er nicht wie andere gelernt hatte, unbekümmert zu lachen, zu lieben und sich an dem Leben und seinen Schönheiten zu erfreuen. Er kannte nur Pflicht und Disziplin, Gehorsam gegenüber den Zwängen, die ihn tiefer und tiefer ins Verderben geführt hatten. Er durfte nicht an den Freuden der Menschen teilhaben, er mußte sie wie Werkzeuge benutzen, ihre Schwächen erkennen, sie quälen, weil sie unwissend waren und Fehler begingen, die sie immer mehr in seine Abhängigkeit brachten. Hatten die Nixen recht gehabt, als sie über ihn lachten und ihn einen »Dummkopf« nannten? Hätte Sigfrid ihn
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