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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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steil, sodass sein Kopf im Genick nach hinten kippt. Er weiß sicher, er würde abrutschen und in die Tiefe stürzen, hielten ihn nicht die Eiskristalle an Ort und Stelle. Sie bohren sich mit ihren frostigen Spitzen in Rücken und Schultern, dass es schmerzt. Auch der Kopf tut ihm weh, und er will aufwachen, damit es vorbei ist. Ein Eisvogel ruft und lockt ihn in die Wirklichkeit.
    Martin blinzelt gegen das Licht. Ein zartes Grün schwingt vor seinen Augen. Ein filigranes Blatt im Wind. Neben seiner Wange flötet eine Amsel. Ihr Gesang hallt in seinem Kopf wider und weckt einen rasenden Schmerz auf. Nur undeutlich nimmt er seine Umgebung wahr. Die Brombeerranken, die ihn festhalten. Das Laub unter seinem Kopf. Der klebrige Geschmack von Erde auf der Zunge. Oder ist es Blut? Als er den Empfindungen des Gaumens nachgeht, begegnet ihm der Durst. Weiter! Der Hals. Ragt nach unten. Es fühlt sich an, als liege der Rücken auf einer Rampe. Und die Beine? Was ist mit den Beinen? Panik erfasst ihn. Wo früher die Beine waren, spürt er nichts. Er will hochkommen und nachsehen, schafft es aber nicht, auch nur den Kopf zu heben. Die Arme? Die Hände? Er verliert das Bewusstsein.

16
    Samstag, der 19. April
     
    Am Samstagmorgen schlief Norma lange. Trotzdem fühlte sie sich wie ausgelaugt, als sie gegen 9 Uhr aufstand, weil der Sonnenschein über dem Dachfenster nicht länger zu ignorieren war. Sie hatte schlecht geträumt, ohne sich an Einzelheiten zu erinnern. Der Traum hinterließ ein Gefühl der Bedrohung, das sich nicht fassen und nur durch Bewegung vertreiben ließe. Allerdings fehlte ihr zum Laufen an diesem Morgen die Energie. Lustlos wusch sie sich das Gesicht, ohne sich danach erfrischt zu fühlen, und betrat das Wohnzimmer. Dort schob sie den Couchtisch zur Seite und breitete die Yogamatte aus. Konzentriert begann sie die Übungen. Auf halber Strecke schweiften ihre Gedanken ab. Auf dem Bauch liegend, die Unterarme aufgestützt und den Rumpf aufrecht in der Position der Kobra, fragte sie sich, ob Ruth mit dieser Ausführung zufrieden wäre. Eine Kontrolle könnte nicht schaden, und Ruth hatte sie mehrmals eingeladen. Als sie sich in der Totenposition ausruhte, wurde ihr bewusst, dass sie ihre Ablehnung nicht länger auf einfache Unlust schieben durfte. Etwas anderes steckte dahinter. Eine Tatsache, der sie sich endlich stellen musste. Sie schreckte vor der Vorstellung zurück, die Übungen in Gesellschaft zu absolvieren. Sie war menschenscheu geworden! Erschrocken über diese Erkenntnis, setzte sie sich aufrecht.
    Solange sie sich hinter der Rolle der Privatdetektivin verschanzte, hielt sie allen Begegnungen mit Bravour stand. Als Privatperson lebte sie im Schneckenhaus. Norma legte sich wieder auf den Boden und achtete auf ihre Atemzüge. Ein. Aus. Ein. Aus. Welche Freunde waren ihr geblieben? Lutz, selbstverständlich. Und sonst? Der Kontakt zu den früheren Kollegen war abgerissen. Irgendwann hatte der geduldigste Polizist die Lust verloren, Norma vergeblich zu einem Glas Wein einzuladen. Zu Irene ging sie nur, um sich mit Informationen zu versorgen. Mit Dirk Wolfert hatte sie sich ein einziges Mal zum Essen getroffen, danach immer zu Ausflüchten gegriffen. War es ihm zu verübeln, dass er sich nun zurückhielt? Weitere Freunde gehörten zu Arthurs Bekanntenkreis. Trotzdem hätte die eine oder andere Verbindung bestehen bleiben können. Sie war sich den Versuch schuldig geblieben.
    Als junge Frau hatte sie sich mit der schlichten Vorstellung bei der Polizei beworben, auf diese Weise den Menschen zu helfen. Nicht das Stellen der Verbrecher war ihre Motivation, sie wollte sich für die Opfer einsetzen. Wie gut ihr auch alle anderen Anforderungen lagen, begriff sie während der Ausbildung. Es kam ihr vor, sie erinnerte sich genau, als würde sie von einer gütigen Macht beschenkt, während sich ihr nach und nach erschloss, wie sehr dieser Beruf der ihre war. Die Ausbildung war die glücklichste Zeit ihres Lebens. Nach einigen Jahren stellte sich Ernüchterung ein, dennoch blieb die Begeisterung lebendig. Den ersten Einschnitt erlebte sie als Berufsanfängerin in Bremen. Nicht die Arbeit war daran schuld, sondern die Beziehung zu ihrem Vorgesetzten. Die Verbindung von Liebe und Beruf vertrug sich nicht. Norma zog die Konsequenzen und ließ sich nach Wiesbaden versetzen. Von den Lehrgängen beim Bundeskriminalamt kannte sie die Stadt flüchtig, erfreute sich an den prachtvollen Villenvierteln und dem Kurhaus,

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