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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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Fenster, füllte die Wasserflasche und packte eilig den Rucksack. Um Martin Rebers Erbgut wollte sie sich später kümmern. Im Lauf des Tages würde er nach Hause kommen.
    Sie war schon auf der Treppe, lief aber zurück, als sie das Telefon hörte.
    »Wie geht es dir?«, fragte Lutz.
    »Ich will zum Rheinsteig und mir die Strecke bei Frauenstein ansehen. Gestern war ich am ›Grauen Stein‹.«
    Ihm schien zu gefallen, mit welchem Elan sie die Aufgabe anging.
    »Undine gibt heute Abend einen Empfang. Wir würden uns freuen, wenn du kommst.«
    »Du würdest dich freuen. Undine wohl kaum.«
    »Nicht doch, Norma! Du tust ihr Unrecht. Sie mag dich, kann es nur nicht so zeigen. Es gibt Rheingauer Rieslingsekt, Häppchen und Small Talk. Du musst unter Menschen, Norma. Dieses Abkapseln tut dir nicht gut.«
    Trug sie den Makel der Einsamkeit sichtbar auf der Stirn? Sie rettete sich in einen Themenwechsel. »Ist der Wasserschaden behoben?«
    Damit traf sie beim Schwiegervater einen empfindlichen Punkt. »Verschone mich mit diesem Drama. Undine hat den Empfang ins Kurhaus verlegt.«
    Sie erlaubte sich einen Pfiff. Ob spöttisch oder anerkennend, die Deutung wollte sie Lutz überlassen.
    Er ging nicht darauf ein. »Das Thema der Ausstellung könnte dich interessieren.«
    »Ach ja? Worum geht es?«
    »Um den Fotorealismus und seinen Blick auf den Film.«
    Das Wort ›Film‹ ließ Norma aufhorchen. »Ich überlege es mir.«
    Ab 20 Uhr sei er im Kurhaus, versicherte Lutz und wünschte ihr einen erholsamen Tag.
    In Frauenstein stellte Norma den Wagen an der Hauptstraße ab und marschierte los. Inkens Text lieferte viel Wissenswertes zum Ort und zur Burg, von der im Verlauf von 800 Jahren nur der fünfeckige Turm übrig geblieben war. Nach einer Biegung kam er in Sicht: Renoviert und mit grauem Satteldach erhob er sich über dem Ort und schien geradewegs aus einer Felswand herauszuwachsen. Mit so banalen Details wie der Wegbeschreibung hatte Inken sich auch hier nicht aufgehalten. Norma orientierte sich auf der Wanderkarte und entdeckte gleich darauf das Wegzeichen des Rheinsteigs an einem Laternenpfahl. Nach wenigen Minuten erreichte sie ein weiteres Wahrzeichen Frauensteins, die ›Blutlinde‹ mit ihrer 1000jährigen Geschichte, wie ein Schild Glauben machen wollte. Anders als der in stolzer Erhabenheit dem Tod trotzende Monstranzenbaum, schien die Linde ihr Heil nahe dem Erdreich zu suchen. Der umfangreiche und zerklüftete Stamm war kaum mannshoch, und selbst die drei dicken Äste schienen die Höhe zu scheuen und wuchsen im unteren Bereich mehr waagerecht als aufwärts. Norma war von der Würde des einen wie des anderen Baumes beeindruckt. Offenbar kam kein Baumgreis ohne Sage aus, stellte sie aufgrund der Inschrift fest. An diesem Ort wurde ein junger Mann hingerichtet, der die Nichte des Burgherrn entführte und seine Liebe mit dem Leben bezahlte. Das Mädchen setzte die Blutlinde zu seinem Andenken.
    Es ging bergauf, mit wachsender Steigung, und bald lagen der Ort und der Burgturm unter ihr im tief eingeschnittenen Tal. Norma nahm das Manuskript heraus, ergänzte einige Passagen mit Stichwörtern und wanderte mit weiten Schritten voran. Sie hatte die Höhe erreicht. Der Pfad verlief mit geringem Auf und Ab zwischen Obstwiesen und aufgegebenen Weinbergen hindurch. Der Rhein war von hier aus nicht zu sehen. In nordwestlicher Richtung entfernte sie sich mit jedem Schritt vom Rheintal und näherte sich ihren gestrigen Zielen, dem Monstranzenbaum und dem ›Grauen Stein‹. Doch so weit wollte sie nicht gehen und vorher zum Wagen zurückkehren. Trotz des sonnigen Wetters war ihr bisher niemand begegnet. In der Nacht hatte es geregnet. Die Abdrücke robuster Sohlen im aufgeweichten Boden bewiesen, wie häufig der Wanderweg begangen wurde. Dazwischen zogen sich in gebogenen Linien die Spuren von Fahrradreifen. Es würde eng, wenn ihr auf diesem Wegstück ein Mountainbiker begegnete. Zu ihrer linken Seite fiel das Gelände steil ab, rechts erhob sich eine Böschung. Buschgruppen und Gestrüpp drängten sich an den Weg heran.
    Eine Bewegung lenkte ihren Blick voraus: Ein brauner Hund schnupperte am Wegrand, zuckelte weiter, hielt inne und trottete ihr entgegen. Das könnte Arlo sein, überlegte Norma. Oder war dieser Labrador einfach nur ein netter Kerl? Kaum hatte er sie erreicht, strich er um ihre Beine und stieß ihr mit der Schnauze gegen die Hände. Vielleicht sollte ich mir einen Hund anschaffen?, dachte sie, gerührt von

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