Rheingrund
Zimmer mit dem seltsamen Gefühl, auf gewisse Weise noch Teil des Kommissariats zu sein. Der schnelle Erfolg war unter anderem ihr zu verdanken. Kai Kristian Lambert, der tödliche Rache an seinem Verräter genommen hatte, würde seiner Strafe zugeführt. Sie selbst könnte sich endlich ganz ihrem Auftrag widmen und Marika Inkens Schicksal aufklären. Für Ruth, die ihr diese Aufgabe anvertraut hatte. Und mehr noch für Inga, die nach der Mutter nun den Freund verloren hatte, der womöglich ihr Vater war. Nur die Wahrheit konnte dem Mädchen einen Halt im Leben geben.
25
Irene nahm Norma mit einem Lächeln in Empfang. »Schön, dich zu sehen. Magst du?«
Sie stellte einen Teller mit Weintrauben auf den Schreibtisch. »Es gibt Schicksale, die gönnt man seinem ärgsten Feind nicht. Dieser unglückliche Radfahrer … Lass uns von etwas anderem reden. Was macht die Vermisstensache Marika Inken? Bist du mit deinen Ermittlungen vorangekommen?«
Weniger aus Appetit als um dem trockenen Geschmack im Mund abzuhelfen, zupfte Norma eine Traube ab. »Wollten wir nicht das Thema wechseln?«
»Sag bloß, es gibt eine Verbindung zwischen beiden Fällen?« Die altmodisch gerundete Brillenfassung und der gespitzte Mund unterstrichen Irenes Verwunderung. Aufmerksam lauschte sie Normas kurzem Bericht. »Verstehe ich das richtig? Die vermisste Marika Inken hat eine Tochter, und deren Vater ist nicht der Ehemann, sondern der ermordete Reber. Der wiederum hat sich erst vor wenigen Tagen zu seiner Tochter bekannt.«
Norma stimmte ihr zu. »Nur weiter so!«
»Marikas Ehemann gab am Abend ihres Verschwindens den treu sorgenden Vater. Später kühlte sich die Liebe zum Kind deutlich ab. Weil er wusste, dass die Kleine ein Kuckuckskind ist?«
»Das sehe ich ebenso.«
Irene pickte eine faule Traube heraus. »Könnten deine Nachforschungen eine verhängnisvolle Kettenreaktion angestoßen haben?«
»Der Gedanke lässt sich nicht von der Hand weisen.« Norma strich sich nervös durch die Haare. »Ich will nicht ausschließen, dass Marika ermordet wurde. Von Reber womöglich. Nun hat jemand an ihm eine späte Rache geübt.«
Irene stützte nachdenklich das Kinn auf die Hand. »An Rache glaube ich gern. Einem Schwerverletzten einen Stein auf den Kopf zu schleudern, das erfordert eine große Wut. Könnte das Mädchen die Falle gestellt haben?«
Norma räumte ungern ein, dass dieser Verdacht zumindest zeitlich zu begründen sei. »Inga ist am Freitagvormittag in der Nähe herumgewandert. Allerdings behauptet sie, ihre Mutter nicht zu lieben. Warum sollte sie für die ungeliebte Marika ein solches Verbrechen begehen? Wesentlich emotionaler ist ihre Bindung an Reber. Dass er nicht offen zu ihr stand, hat sie sehr verletzt. Zugegeben, ein denkbares Motiv. Allerdings gehen Dirk und Luigi einer handfesten Spur nach. Lambert hat einen brodelnden Zorn auf Reber, der ihn an die Stasi verraten hat.«
Irene sagte mit einem Lächeln: »›Protokoll und Genie‹ entkommt auf Dauer niemand! Wenn die Kollegen Recht behalten, hat der Fall Reber nichts mit deinen Ermittlungen zu tun.«
»Mag sein. Trotzdem erscheint mir die Suche nach Marika wie ein Stochern im Hornissennest.«
Eine junge Frau betrat das Büro und setzte sich an den zweiten Schreibtisch. Irene stellte sie als die neue Praktikantin vor.
Schon an der Tür fiel Norma eine Frage ein. »Irene, kennst du einen Rechtsanwalt namens Ehlers?«
»Meinst du Eiko Ehlers?«
Norma rief sich die Karte in Erinnerung. »Das ist er. Er hat sein Büro im Schiffchen.«
Die Praktikantin kicherte. »Eine Kanzlei in einem Schiffchen, na, so was! Warum nicht auf einer Yacht?«
Norma schmunzelte. »Sie sind nicht aus Wiesbaden?«
»Ich komme aus Kassel!«
»Das Schiffchen, von dem wir reden«, erklärte Irene belustigt, »liegt in der Altstadt. Die Häusergruppe bildet die Form eines Schiffs. Deshalb nennen wir diesen Teil der Altstadt Schiffchen.«
Die junge Frau strahlte. »Dann kenne ich das Schiffchen. Dort befinden sich all die netten Kneipen und Restaurants!«
»Wo Sie sich bestimmt besser auskennen als ich«, bemerkte Irene trocken. »Ehlers besitzt eine Kanzlei in der Altstadt. Man darf davon ausgehen, dass er seit der Scheidung in den Büroräumen wohnt. Meine Nichte betreibt im selben Haus ein Stehcafé. Ehlers gehört zu den Stammgästen. Sie hält ihn für einen netten Kerl, der Pech hatte. Seine Ex lässt ihn bluten. Kaum anders zu erwarten bei dieser Familie.«
Eiko Ehlers habe in eine
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