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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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Terrassenmauer entlang und stieg hinter der Böschung den Pfad bergan. Der Ball war vergessen. Arlos Hecheln erfüllte den Luftraum hinter ihrem Rücken. Eine Elster flog schmetternd auf, als sie sich dem Gartenhaus näherten. Inga war vermutlich noch nicht zurück, aber vorsichtshalber klopfte Norma an. Nichts rührte sich. Die Tür war abgeschlossen, doch sie brauchte die Dietriche nicht und ertastete den Schlüssel oben auf dem Türrahmen. Dieser Raum war ein Rückzugsort. Heute für Inga, damals für Marika. Das Letztere ließ Norma als Rechtfertigung gelten.
    Die Kraft der Sonne war nicht bis in die Hütte gedrungen. Die kühle Luft roch modrig. Arlo schnupperte am Sofa und legte sich davor auf die Holzdielen nieder. Ein heftiges Flattern ließ ihn sogleich wieder aufspringen. Norma fuhr erschrocken zusammen. Es war nur eine Taube, die sich durch die zerbrochene Scheibe im rückwärtigen Fensterband in die Hütte verirrt hatte und sich auf dem Weinregal vor dem kläffenden Hund in Sicherheit brachte. Norma fasste Arlo am Halsband und stieß die Tür weit auf. Die Taube schien unentschlossen, als traute sie dem Ausweg nicht, bis sie schließlich die Flügel hob und mit lautem Flügelklatschen davonflatterte.
    Norma sah sich um, als wäre es ihr erster Besuch. Die staubigen Flaschen im Weinregal. Das im langen Gebrauch zerschrammte Rüttelpult. Das Weinfass, flankiert von zwei Stühlen. Hatte Marika sich hier mit ihren Liebhabern getroffen? Mal mit Lambert? Dann mit Martin? Über den Wanderweg oberhalb des Gartens konnte man zur Hütte gelangen, ohne vom Wohnhaus aus gesehen zu werden.
    Sie zog einen Stuhl heran und legte Marikas Foto, das sie im Portmonee mit sich trug, auf das Fass. Eine junge, dunkelhaarige Frau mit unverkennbarer Ähnlichkeit zu Inga: die zarten Züge, das verhaltene Lächeln. Nur die Augen waren anders: groß und leicht schräg angesetzt. Hast du aus dem Zug heraus deinen Geliebten angerufen? Vielleicht hattet ihr gestritten, und du wolltest dich versöhnen. Oder wolltest du Schluss machen und ihn zu einer letzten Aussprache auffordern? Nehmen wir an, du hast ihn nach Biebrich bestellt. Er holt dich am Schlosspark ab. Ihr fahrt zurück in den Rheingau, schleicht euch hinauf in das Gartenhaus.
    War es so?
    Marikas Lächeln blieb unergründlich. Norma erhob sich vom unbequemen Stuhl, stieg über den schnarchenden Hund hinweg und ließ sich behutsam, als könnte das Möbelstück unter ihr zusammenbrechen, auf dem Sofa nieder. Hinten im Raum verstärkte sich der muffige Geruch. Die Schlangen fielen ihr ein, die unter dem Boden hausten, wie Inga erzählt hatte. Womöglich gefiel es den Schuppentieren in der Couch? Norma sprang so hastig auf, dass der Hund es ihr erschrocken gleichtat, und kehrte zum Stuhl zurück.
    Sie treffen sich im Gartenhaus. Martin und Marika, die verkappten Eltern einer Tochter. Unten im Wohnhaus sorgt sich Ruth um die fiebernde Inga, entdeckt kurz darauf den gefährdeten Bagger. Sie ruft Bernhard an, erreicht ihn im Fitnessstudio. Nein, die Reihenfolge stimmt so nicht, fiel Norma ein. Bernhard trifft kurz vor 19 Uhr bei Ruth ein. Um dieselbe Zeit steigt Marika in die Bahn. Der Zug braucht vier Minuten vom Hauptbahnhof nach Biebrich. Die Zeit für die Autofahrt und den kurzen Fußmarsch zusammengerechnet, können Martin und Marika 20 bis 25 Minuten später im Gartenhaus eintreffen. Sie sind bereits hier oben, als Bernhard – es ist inzwischen 20 Uhr – unten im Garten gemeinsam mit Ruth auf die Terrasse hinausgeht. Sie wiegen sich in Sicherheit. Wie können sie ahnen, dass Bernhard, der sonst niemals heraufkommt, bei der Hütte nach Holzbohlen suchen will? Überrascht er sie? Oder kommt er hinzu, als Martin Marika im Streit erschlägt? Hat Bernhard Martins Tat bis in diese Tage gedeckt und den Geliebten seiner Frau nun aus Rache getötet? Oder ist Bernhard der Mörder und machte Martin zum Komplizen?
    Norma seufzte verwirrt. Nichts als Mutmaßungen.
    Arlo trottete zur Tür. Er kratzte am Rahmen und winselte auffordernd.
    Norma steckte die Fotografie ein. »Du hast recht! Gehen wir!«
    Sie verließ die Hütte, schloss die Tür ab und legte den Schlüssel an seinen Platz zurück.
    Wenn der Mord dort drinnen geschehen ist, gibt es Spuren, überlegte Norma. Blutspritzer können Jahrzehnte überdauern. Leider besaß sie nicht die Macht, einen Polizeiapparat in Gang zu setzen. Sie brauchte Milanos Unterstützung. Für den Kommissar hatte der Mord an Reber Priorität vor einem 15

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