Rheingrund
einverstanden?«
»Danke, Dirk. Wenn Lambert die Annahme bestätigt, muss die Hütte nach Spuren untersucht werden. Könnt ihr das veranlassen?«
Zu ihrer Erleichterung nickte Milano bedächtig. »Gib uns Zeit, Norma. Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es nach 15 Jahren nicht an. Erst muss die Anklage gegen Lambert in trockenen Tüchern sein. Er hat einen unangenehm engagierten Anwalt aufgetrieben. Der Mann macht uns richtig Druck.«
Norma verabschiedete sich nach dem Espresso mit der Hoffnung, dass sich beide bei klarem Verstand an die Versprechen erinnerten. Sie spürte die angestrengten Waden, als sie zur Haltestelle spazierte. Von Weitem sah sie den Bus um die Ecke biegen. Die letzten Meter rannte sie.
27
Donnerstag, der 24. April
Ein Stockentenpaar überquerte, der Erpel um eine Schnabellänge voraus, im Watschelgang den Pfad, hielt auf halber Strecke inne und holperte, als Norma sich näherte, mit aufgeregtem Schnattern dem Teichufer zu. Hinter dem Wasser erhob sich die Moosburg. Vor fast 200 Jahren als Ruine in den Biebricher Schlosspark gesetzt, diente die Burg damals wie heute als romantischer Blickfang; insbesondere, wenn sich das Licht zwischen den Bäumen im Nebel brach und der Park in frühmorgendlicher Stille lag. Norma trabte locker voran. Die Beine hatten sich von der Wanderung erholt, und der Riesling vom Abend zuvor war ihr bestens bekommen. Die Morgensonne hatte sie zeitig aus dem Haus gelockt. Nach einer Runde um die Burgruine trat sie den Rückweg an und hielt auf das Schloss zu. Mit den Gedanken war sie bei jenem Problem, das verbannt, aber nicht vergessen, seit zwei Wochen in der Schreibtischschublade lauerte. Dieser verfluchte Brief! Irgendwann musste sie ihn lesen. Allerdings nicht heute, entschied sie, als sie am Schloss angekommen war, und fühlte sich sofort besser. Das letzte Wegstück zur Wohnung ging sie langsam, damit der Puls zur Ruhe kam, und kaufte in der Bäckerei zwei Brötchen und die Zeitung. Als sie wieder auf die Straße trat, bemerkte sie Ruth, die gegenüber vor dem Büro wartete.
Sie begrüßte Norma mit einer Entschuldigung. »Ich bin zeitig dran, aber ich muss Sie dringend sprechen.«
Norma schloss die Tür auf und bat Ruth herein. Über den Gehweg jagte der Kater heran und strich Norma um die Waden. Sie legte die Zeitung und die Brötchentüte auf den Schreibtisch.
Ruth wollte sich nicht setzen und blieb mitten auf dem Fliesenboden stehen. »Die Polizei hat Martins Mörder gefasst. Es ist überstanden.«
»Woher wissen Sie das?«
Ruth zeigte auf den ›Kurier‹. »Lesen Sie selbst!«
Norma überflog den Artikel, der nicht mehr verriet, als Milano angekündigt hatte. Der in der DDR inhaftierte Kai L., hieß es, habe Martin Reber als Verräter betrachtet und Rache geübt. Als Indizien wurden das Seil und ein Parkticket genannt und außerdem auf die Aussage einer ›vertrauenswürdigen Zeugin‹ verwiesen.
Ruth schlug die Arme um den Oberkörper, als müsste sie sich trotz der gefütterten Jacke wärmen. »Dann ist es also vorbei. Ich möchte, dass Sie aufhören. Sie sollen nicht länger nach meiner Tochter suchen.«
»Aber gestern …«
»Ich habe meine Meinung geändert!«, fiel sie Norma ins Wort.
»Weil Martins Tod etwas mit Marikas Verschwinden zu tun haben könnte?«
»Es gibt keinen Zusammenhang«, widersprach Ruth heftig. »Wie kommen Sie darauf?«
Kein guter Augenblick, um über die Spurensuche im Gartenhaus zu sprechen, entschied Norma.
Ruth hob die Arme an und unterstrich ihre Worte mit ausladenden Gesten. »Ich ziehe den Auftrag zurück. Das gilt ab sofort. Bitte schicken Sie mir die Rechnung zu.«
Ob es irgendetwas an ihrer Arbeit zu beanstanden gäbe?
Das sei nicht der Grund, versicherte Ruth, um Freundlichkeit bemüht. »Mir ist das alles zu viel. Ich kann einfach nicht mehr, verstehen Sie? Bitte akzeptieren Sie meine Entscheidung.«
Martins Tod hatte sie sehr getroffen. In diesem Moment erinnerte wenig an die beherrschte, souveräne Frau der ersten Begegnungen. Sie wirkte aufgewühlt, beinahe verstört.
»Sind Sie sicher, dass ich Ihnen nicht helfen kann?«, fragte Norma behutsam und überlegte im Stillen, ob Bernhard seine Schwiegermutter mit einer Teufelei unter Druck setzte.
»Ich will die Sache beenden«, erklärte Ruth entschieden. »Sie helfen mir am besten, wenn Sie meine Entscheidung akzeptieren.«
»Selbstverständlich.«
Norma versprach, den Bericht in den kommenden Tagen abzuschließen, und begleitete Ruth zum
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