Rheingrund
Gesülze, das der Kerl zusammenklaubt.«
Bernhard lachte. »Oh, wie sie leidet, die zarte Künstlerseele!«
Martin schwang auf dem Drehstuhl herum. So wie Bernhard vor ihm stand, breitbeinig, den massigen Oberkörper vorgebeugt, und mit überheblicher Gönnerhaftigkeit auf ihn herabschaute: Martin hätte ihn am liebsten mitten ins Gesicht geschlagen. Ein Verlangen, das ihn in letzter Zeit öfter überkam. Er ballte die Faust, blieb aber sitzen. »Hauptsache Quote! Zählt gar nicht mehr, wofür wir einmal eingetreten sind?«
Bernhard stöhnte affektiert. »Nicht doch, Martin! Erspare du mir dein Gesülze. Bert van der Val ist der angesagte Autor zurzeit. Seine Geschichten kommen an. Die Redakteure sind gierig auf Berts Bücher. Auch auf dieses Buch, jede Wette. Und da will ich wieder abkassieren!«
Der letzte Film, der nach einem Drehbuch aus van der Vals Feder entstanden war, hatte die Kritiker gleichermaßen entsetzt, wie er das Fernsehvolk entzückte. Bernhard lag viel daran, einen solchen Erfolg zu wiederholen.
Martin fand so viel Geldgier abstoßend. »Immer geht es nur um dich!«
Bernhard stellte sein Lächeln ein. »Reiß dich zusammen, Martin. Vergiss nicht, wer dir jeden Monat dein Konto füllt. Für den Job, den du hier machst, könnte ich jederzeit eine diplomierte Hochschulabsolventin kriegen. Die zudem einen hübscheren Anblick bietet als du.«
Martins Faust begann zu kribbeln. »Willst du mir kündigen?«
»Heute noch, wenn du so weitermachst! Das ist nicht der erste Warnschuss. Denk daran!«
Bernhard drehte auf dem Absatz um und schlug die Tür hinter sich zu. Martin blieb verwirrt zurück. Es war nicht seine Art, Bernhard zu provozieren, und trotzdem geschah es ihm in letzter Zeit immer wieder. Das empfahl sich nicht für den Dinosaurier dieser Agentur, vor dessen Tür die junge und ehrgeizige Konkurrenz mit den Hufen scharrte. Obwohl bald 50, würde er kaum auf der Straße landen. Dazu besaß er zu gute Kontakte in der Branche. Aber er hatte sich in Bernhards Firma eine ökologische Nische erobert, in der es sich gemütlich überleben ließ, und war wenig scharf auf den Kampf in der Arena der Eitelkeiten.
Er versenkte sich in die erste Fotografie: Ein schmaler Pfad neben einer Brombeerhecke, die uralte Weinstöcke überwucherte, links vom Weg ein Abhang, dessen bedrohlichen Absturz die Aufnahme nur ahnen ließ.
Der nächste Besucher kündigte sich mit einem federleichten Klopfen an. Inga schaute durch den Türspalt. Sie wirkte beunruhigt, aber das war nichts Ungewöhnliches. Irgendwie schien sie immer auf dem Sprung. Wie ein Wildtier im Käfig; scheu und empfindsam, aber zu jeder Sekunde bereit, das Leben bis zum Tod zu verteidigen. Dieser Vergleich kam ihm nicht zum ersten Mal in den Sinn.
Sie lächelte unsicher. »Kann ich dich sprechen?«
»Nur zu! Geht es dir wieder besser?«
Sie schloss die Tür hinter sich. »Nee, gar nicht. Ich bin nur gekommen, weil ich mit dir reden wollte.«
»Lass dich nicht von Bernhard erwischen.«
Sie rückte den Besucherstuhl an den Schreibtisch heran und setzte sich, die Beine gekreuzt, sodass sich die Füße mit den Außenseiten berührten. Die hellen Sportschuhe waren beschmutzt, als käme sie geradewegs von einer ihrer einsamen Touren zurück. Auch Inga war in jeder freien Stunde im Rheingau unterwegs, wenn auch aus anderen Motiven als er. Äußerlich glich sie Marika bis aufs Haar. Kindlich zart und zerbrechlich. Wer sie nicht kannte, unterschätzte ihre Energie und Ausdauer.
»Ich hatte befürchtet, du bist unterwegs. Bei dem schönen Wetter!«
Er deutete auf den Bildschirm. »Ich warte auf das Van-der-Val-Exposé.«
Inga verzog den Mund. »Liebesleid und Meeresbrandung?«
»Winzerglück in der Drosselgasse! Uns bleibt nichts erspart.«
Inga schaute auf ihre Schuhe. »Norma Tann hat mich mit in die Stadt genommen.«
Martin überlegte kurz. Ruth hatte den Namen neulich erwähnt. »Die Privatdetektivin?«
»Sie ist nett. Ich darf sie duzen.«
Wieder ein neuer Versuch, der so ernüchternd enden würde wie alle anderen. »Ruth sollte damit aufhören. Das bringt doch nichts. Sie quält sich damit.«
Inga sah auf. Ärgerlich sagte sie: »Falsch! Nicht Ruth quält sich! Sie wird von meiner Mutter gequält. Ruth muss endlich Bescheid wissen! Warum meldet Marika sich nicht? Nicht meinetwegen. Ich brauche sie nicht.«
»Rede nicht so, Inga! Marika ist deine Mutter!«
Inga schnaufte. »Eine Supermutter, die ihr Kind zurücklässt! Ich habe
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