Rheinsteigmord - Kriminalroman
Anwalt!«
Margot nickte. »Ja. Ja, ganz genau. Er braucht einen Anwalt. Und er sollte so schnell wie möglich wiederauftauchen. Das wäre wichtig.«
»Warum ruft Till dich an? In so einer … äh, Angelegenheit?«
»Warum nicht?«
»Margot, was hast du dem Jungen erzählt?«
Margot zuckte die Schultern. »Nichts.«
»Nichts im Sinne von nichts? Oder vielleicht eher nichts im Sinne von ›Ich mag aussehen wie eine Hauswirtschafterin mittleren Alters, aber in Wirklichkeit bin ich eine begnadete Privatermittlerin, ein echter Vollprofi‹?«
Margot würdigte die Beleidigung nur mit einem leichten Zucken ihrer gezupften Augenbrauen, das klar besagte, dass sie sich nicht auf ein derartiges Niveau herabzulassen wünsche. Daran tat sie gut, denn ihr blinder Wille, ungeachtet ihres Alters und Körperbaus jedem Modetrend zu folgen, gepaart mit der hingebungsvoll gepflegten blondierten Haarmähne wuschen sie klar und deutlich vom Verdacht des Biederen rein.
»Ich bin ein Profi! Das Geschäft mag etwas schleppend laufen, aber das liegt nicht an mir, sondern an der allgemeinen Wirtschaftslage. Bislang gab es jedenfalls keinerlei Beschwerden hinsichtlich der Qualität meiner Arbeit.«
»Von wem auch?« Britta atmete tief durch. »Margot, was hast du Till erzählt?«
»Nichts als die Wahrheit! Vielleicht habe ich möglicherweise an der ein oder anderen Stelle ein winziges bisschen dramaturgisch nachgearbeitet. Man will so einen netten jungen Mann ja nicht langweilen, wenn man zusammen Kaffee trinkt.«
»Dramaturgisch nachgearbeitet? Margot – du hast ihm die Hucke vollgelogen!«
»So würde ich das auf keinen Fall formulieren. Ab und an ein winziger Hauch rhetorische Finesse in der Erzählstruktur, das ist alles. Und außerdem ist es ja auch egal. Kein Grund, hier ein Drama zu machen.«
»Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es um Mord und einen flüchtigen Mordverdächtigen. Ich bin offen gestanden der Ansicht, dass das ein Drama ist .«
»Du bist immer so negativ!« Margot schlug die Zeitschrift zu. »Aber du hast natürlich völlig recht. Die Sache ist eine Nummer zu groß. Sogar für mich. Ich gehe morgen da hin und rede mit Tills Tante. Ich sage ihr, dass sie einen Anwalt braucht. Und dass sie mit der Polizei kooperieren soll.«
Die mittlerweile knalldunkelrote Warnleuchte in Brittas Kopf begann, wild zu rotieren. So viel Einsicht bei Margot war kein gutes Zeichen.
»Ist das dein Ernst?«
»Natürlich. Absolut. Hundertprozentig. Ernst. So was von Ernst!« Sie sah Britta mit unschuldigem Blick an. »Könntest du mich vielleicht fahren? Morgen früh? Damit ich das so schnell wie möglich klären kann?«
Britta seufzte. Dann nickte sie.
Die Ampel schaltete auf Rot. Wörner bremste den Wagen, lehnte sich im Fahrersitz zurück und atmete tief durch. Bereute das umgehend. Es roch süßlich. Maiglöckchen.
Das wusste er, weil er den Fehler gemacht hatte, zu fragen.
Obwohl er es besser hätte wissen müssen.
»Maiglöckchen«, hatte sie gesagt. Und dann kam das, was kommen musste. Sie fragte, ob es möglicherweise zu viel des Guten sei. Ob er den Duft womöglich nicht möge, sich gar belästigt fühle.
Wörner hatte still seine Dummheit verflucht. Er war mit vier Schwestern aufgewachsen. Das hätte ihn perfekt vorbereiten müssen aufs Leben. Das Leben mit Frauen. Leider schien das Gegenteil der Fall zu sein. Immer wieder lief er in dieselben Fallen. Als Polizist war ihm die Wahrheit ein kostbares Gut. Er mühte sich nach Kräften, Lügen zu vermeiden. Auch kleine Notlügen. Gerade kleine Notlügen.
Sobald Frauen im Spiel waren, funktionierte das nicht mehr. Nicht wenn man wusste, welche Verheerung die Wahrheit zuweilen an der weiblichen Psyche anrichten konnte. Die Wahrheit über Maiglöckchenduft zum Beispiel. Und darum hatte er seinerseits gelächelt und versichert, dass ihm der Duft als sehr angenehm aufgefallen sei.
Und darum musste er jetzt mit Maiglöckchen leben. Es gab vermutlich Schlimmeres. Auch wenn ihm in diesem Moment nichts einfallen wollte.
Das Jackett musste in die Reinigung. Die Stelle, an der Sophie eben gelehnt und geschluchzt hatte, war deutlich zu sehen. Ein brauner Fleck, Puder oder Make-up, deutlich sichtbar. Vermutlich lag hier auch das Duftzentrum.
Er warf Sophie nicht vor, dass sie geweint hatte. Es war schließlich seine Schuld gewesen. Die Enttäuschung darüber, vom Tatort verbannt worden zu sein, hatte zu Frustration geführt. Und die wiederum zu eigenmächtigem,
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