Rhosmari - Retterin der Feen
dass die anderen Feen einen Augenblick lang wie gelähmt dastanden. Bevor jemand es verhindern konnte, hatte sich Martin bereits umgedreht und ein zweites Mal zugestochen. Dann nahm er blitzschnell die Gestalt eines Vogels an, der so klein und so schnell war, dass niemand ihn fangen konnte, und flog weg. Als Veronica, in deren Kehle Martins Dolch bis zum Heft steckte, auf dem Sand aufschlug, war Martin bereits in der Nacht verschwunden.
EINUNDZWANZIG
Eine Stunde später lag der Strand wieder leer und verlassen da, als hätte hier nie ein Kampf stattgefunden. Man hatte die Leichen von Jasmin und Veronica weggebracht und Rob und seine Rebellen hatten die Überreste der kaiserlichen Armee zusammengetrieben. Es würde eine Weile dauern, bis feststand, wer Jasmin aus freien Stücken gefolgt war und wer ihr nur als Sklave gedient hatte – da kaum jemand um die Kaiserin trauerte, schien es deutlich mehr von der letzten Sorte zu geben.
Rhosmari stand neben ihrer Mutter auf den Klippen und blickte über das Meer mit seinen Wellen zu den fernen Grünen Inseln hinüber, die nur schemenhaft zu erkennen waren. An ihrer Küste und zwischen Wäldchen und Hügeln blinkten Lichter. Die Kinder des Rhys waren in ihre Häuser zurückgekehrt, um wenigstens die letzten Stunden der Nacht noch zu ruhen.
»Ich habe Fioled gesehen, als sie aufbrachen«, sagte Rhosmari. »Ich habe sie angesprochen, aber sie würdigte mich keines Blickes.«
Lady Celyn schwieg.
»Ich kann nie mehr auf die Grünen Inseln zurückkehren.« Rhosmari suchte das Gesicht ihrer Mutter ab, doch ohne wirkliche Hoffnung. »Nicht wahr?«
Celyn seufzte. »Ich wollte, es wäre anders«, sagte sie. »Du hast auf die Kaiserin geschossen, um sie zu verwunden, nicht um sie zu töten, und du hast es aus einem ehrenwerten Grund getan. Aber du hast Blut vergossen und bist deshalb in den Augen vieler Angehöriger unseres Volkes kein Kind des Rhys mehr.«
»Und in deinen Augen?«
Lady Celyn legte Rhosmari eine Hand an die Wange und strich mit dem Daumen zärtlich darüber. »Du bist und bleibst meine Tochter«, sagte sie. »Eher würde ich mich selbst verstoßen. Als wir uns in Gruffydds Weg begegneten und du mir vorwarfst, ich sei genauso wie die Kaiserin …«
Scham stieg in Rhosmari auf. »Ich hätte es nicht sagen dürfen. Ich hatte unrecht.«
»Du wusstest gar nicht, wie recht du hattest«, erwiderte ihre Mutter. »Wenn deine Worte mich nicht aufgeschreckt und zur Selbstprüfung gezwungen hätten, wäre ich vielleicht wirklich genauso wie sie geworden. Denn ich wurde als Mensch geboren, Rhosmari, und dein Großvater, der starb, als er einen Streit zwischen zwei Menschen schlichten wollte, war auch ein Mensch. Aber weil ich dich unbedingt vor Vorurteilen und Gewalt bewahren wollte, habe ich dir diesen Teil deines Erbes vorenthalten.«
Rhosmari starrte ihre Mutter an und konnte in ihrer Verblüffung nichts sagen. Zu unglaublich war die Ironie, dass sie wochenlang mit Misstrauen und Vorurteilen gegenüber den Menschen gekämpft hatte, ohne zu wissen, dass sie selber zur Hälfte ein Mensch war …
»Aber dein Großvater war ein edler, mitfühlender Mensch«, fuhr Lady Celyn fort. »Genauso wie dein Vater. Und ich glaube, beide wären sehr stolz auf dich.« Sie küsste Rhosmari auf die Stirn und trat zurück. »Wie ich auch.«
»Aber werden wir uns wiedersehen?« Rhosmari musste ihre Tränen unterdrücken. »Oder ist das der endgültige Abschied?«
»Die Kinder des Rhys ändern sich nicht so schnell«, sagte Celyn. »Aber ändern müssen wir uns, ob wir es wollen oder nicht. Der Namensstein ist zerstört und wir müssen überlegen, wie wir uns ohne ihn am besten schützen. Ob wir uns von allen anderen fernhalten und niemandem unsere wahren Namen verraten oder ob wir den Weg des Vertrauens gehen, den ihr beide, Timothy und du, uns gezeigt habt. Die Feen auf dem Festland stehen vor derselben Entscheidung.«
Sie holte tief Luft. »Ich muss über das, was ich dir jetzt vorschlage, natürlich zuerst mit den Ältesten beraten, aber zumindest Gwylan, Arianllys und ich finden, dass du dich vortrefflich als Botschafterin unseres Volkes eignen würdest, die uns über das Geschehen in der Welt außerhalb der Grünen Inseln informiert. Und die vielleicht auf ihre Weise den anderen Feen ein wenig vom Frieden des Rhys bringen kann.«
»Meinst du, dass ich die Grünen Inseln dann trotzdem noch besuchen könnte?«, fragte Rhosmari langsam. »Auch wenn ich dort nicht wohnen
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