Rhosmari - Retterin der Feen
können, an dem sie sicher ist.«
Sarah sah sie verwirrt an, und selbst als Rhosmari ihr ihren Plan erklärte, zögerte sie noch so lange, dass Rhosmari schon fürchtete, sie könnte nicht einverstanden sein. Doch endlich sagte sie: »Ja, natürlich. Es ist die einzige Möglichkeit.« Sie ging, um den Transportkorb für Isadora zu holen.
Am späteren Vormittag sah Rhosmari vom Fenster ihres Zimmers aus zu, wie der Lieferwagen des Lebensmittelhändlers knirschend die Einfahrt hinauffuhr und ächzend vor der Küche hielt. Der Fahrer lud Sarahs Bestellung aus und trug sie ins Haus. Rhosmari faltete die Hände und sprach ein stummes Gebet. Bitte mach, dass er einverstanden ist und dass Sarah nicht noch ihre Meinung ändert …
Der Mann blieb lange im Haus, wie es Rhosmari schien, und ihr wurde schon ganz mulmig. Doch offenbar hatte Sarah ihn überreden können, denn schließlich kehrte er mit einem Bündel Geldscheine in der Tasche und Isadoras Korb unter dem Arm nach draußen zurück. Mit angehaltenem Atem sah Rhosmari ihn einsteigen und wegfahren. Wenn die Kaiserin ihn gesehen hatte … oder der Abwehrzauber sie alarmierte, dass etwas nicht stimmte …
Doch als der Lieferwagen das Ende der Auffahrt erreicht hatte und auf die Straße einbog, konnte sie erleichtert aufatmen. Sie hatte richtig vermutet: Die Kaiserin interessierte sich nicht für Hunde – und auch nicht für Menschen. Sobald es ihr sicher erschien, ging sie wieder nach unten. Sarah standen Tränen der Dankbarkeit in den Augen.
»Du hast es geschafft!«, flüsterte sie und nahm Rhosmaris Hand in ihre weichen, von blauen Adern durchzogenen Hände. »Isadora ist in Sicherheit! Ich danke dir …«
Rhosmari freute sich mit ihr, doch sie wand sich innerlich, als sie das heilige Wort »danke« hörte, auch wenn nur ein Mensch es aussprach, der es nicht besser wusste. Sie verdiente es nicht, dass Sarah so tief in ihrer Schuld stand. Zumal sie Isadoras Rettung ja gleichzeitig als Gelegenheit benutzt hatte, den Brief an die Rebellen zu schicken. Davon hatte sie nicht einmal Sarah erzählt … zu deren eigenem Schutz.
Wenigstens redete Rhosmari sich das ein. Tief im Innern kannte sie den wahren Grund: Sie vertraute niemandem mehr, nicht einmal einem so wohlmeinenden Menschen wie Sarah. Wenn die Rebellen sie retteten, würde Sarah sich mit ihr freuen. Wenn nicht, musste Rhosmari allein mit der Enttäuschung und den Folgen fertig werden.
Ein Tag verging und dann noch einer und noch einer. Am vierten Tag sank Rhosmaris Hoffnung. Am Ende des fünften drückte sie das Gesicht ins Kopfkissen und weinte. Und als die Kaiserin sie am sechsten kommen ließ und ihr mitteilte, dass sie am darauffolgenden Tag zu den Grünen Inseln aufbrechen würden, konnte sie nur resigniert den Kopf senken. Sie hatte ihr Bestes getan, aber vergeblich. Jetzt wusste sie nur noch eine Möglichkeit, wie sie den Plan der Kaiserin verhindern konnte.
In der Nacht, als im Haus Stille eingekehrt war, trat sie leise aus ihrem Zimmer und ging zur Küche hinunter. Angst verspürte sie nicht, nur eine schreckliche, abgrundtiefe innere Leere. Sie zog Sarahs großes Fleischmesser aus dem Messerblock und richtete es auf ihr Herz. Mit beiden Händen wollte sie es packen und dann …
Doch das Messer ließ sich nicht bewegen, genauso wenig wie ihr Körper, obwohl Rhosmari mit aller Kraft versuchte, beides zusammenzubringen. Sie kämpfte gegen sich selbst, bis ihr der Schweiß über die Stirn lief, dann ließ sie das Messer klappernd fallen und rang keuchend nach Luft. Als die Kaiserin ihr verboten hatte, das Haus zu verlassen, hatte sie das in einem umfassenden Sinn gemeint. Nicht einmal die Tür des Todes stand ihr offen. Schweren Herzens kehrte sie in ihr Zimmer zurück und fiel in einen erschöpften Schlummer.
Als sie aufwachte, war es heller Vormittag und die Sonne fiel schräg durch die Vorhänge und blendete sie. Doch ihre Glieder fühlten sich bleiern an. Warum sollte sie überhaupt aufstehen? Sie drehte sich auf die anderen Seite, zog die Beine an und wünschte, sie könnte einschlafen und nie mehr aufwachen.
Im Halbschlaf hörte sie Reifen auf dem Kies knirschen. Ein Auto kam die Einfahrt herauf, bestimmt der Lebensmittellieferant … Aber wenn es sein Lieferwagen war, klang er heute ganz anders als sonst. Auch die gedämpfte Stimme, nein, die Stimmen, die im Hof zu hören waren, kannte sie nicht. Sie stieg aus dem Bett und presste das Ohr ans Fenster, um möglichst viel zu verstehen. Es
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