Rhosmari - Retterin der Feen
wegen«, sagte Paul, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Sie ließ sie hinrichten.«
Rhosmari sank in ihren Sitz zurück und starrte auf Pauls blonden Hinterkopf. Sie hatte gewusst, dass die Kaiserin mit Feen, die sie für Verräter hielt, hart ins Gericht ging, aber dass sie nicht einmal vor offenem Mord zurückschreckte, entsetzte sie nun doch.
»Philip starb an gebrochenem Herzen«, sagte Timothy. »Was ich immer für unmöglich gehalten hatte. Aber die beiden hatten damals schon zwei Kinder, von denen eins Waverley Hall erbte …«
»Und Sarahs Urgroßvater wurde«, ergänzte Paul. »Oder Ururgroßvater, etwas in dieser Richtung.«
»Und das andere Kind war Baldriana«, schloss Peri, »die gegenwärtige Königin der Eiche.«
Rhosmari presste die Finger auf die Augenlider. Der Kopf sauste ihr vor lauter Neuigkeiten. Als sie wieder aufblickte, fuhren sie schnell zwischen Bäumen und hohen Hecken dahin und Waverley Hall war nirgends mehr zu sehen.
»Die Kaiserin ist also schon steinalt«, sagte sie.
»Sie muss inzwischen über dreihundert Jahre alt sein«, erwiderte Peri. »Erstaunlich, dass sie überhaupt noch lebt.«
»Sie ist stärker als alle anderen Feen, denen ich bisher begegnet bin«, sagte Rhosmari leise. »Sie kann mehrere Zauber gleichzeitig aufrechterhalten und herrscht zugleich über ihre Leute …« Ein kalter Schauer überlief sie und sie rieb sich die Arme. »Sie muss schreckliche Dinge getan haben, um an die Macht zu kommen. Sie behauptet zwar, sie wolle nur das Beste für ihr Volk, aber wie kann sie das viele Böse, das sie getan hat, verdrängen?«
»Ich glaube, sie denkt nur an ihre ehrgeizigen Ziele«, sagte Peri. »Wenn sie je ein Gewissen gehabt hat, ist das längst vorbei.«
»Eine Lügnerin, deren Gewissen gebrandmarkt ist«, murmelte Timothy abwesend. Offenbar zitierte er etwas, dachte Rhosmari.
»Hm«, sagte Paul, »wenn wir Jasmin durch eine Psychoanalyse besiegen könnten, wäre sie schon hundert Mal tot. Aber was ich wirklich gerne wissen würde, Tim – wenn wir das nächste Mal mit ihr zusammenstoßen, spielst du dann auch wieder den Helden und rennst drauflos oder folgst du den Anweisungen?«
Timothy warf Rhosmari einen verstohlenen Blick zu. »Ich folge den Anweisungen«, sagte er. »Wahrscheinlich.«
Paul sah Peri an und seine Lippen zuckten. Peri seufzte. »Ich weiß«, sagte sie. »Glaub mir, ich weiß.«
Rhosmari hatte schon erwartet, dass die Eiche groß sein würde, wenn so viele Feen darin lebten. Doch als Paul um die letzte Kurve fuhr und sie den Baum vor sich zum Himmel aufragen sah, bekam sie trotzdem große Augen. Noch nie hatte sie einen so dicken Stamm gesehen oder so ausladende Äste, die trotzdem nicht unter ihrem eigenen Gewicht abbrachen. Bestimmt konnte ein Baum dieser Größe nur durch Zauberei so lange unbeschädigt überleben.
»Es wird noch einige Stunden dauern, bis Garan und die anderen aus Waverley Hall zurückkehren«, meinte Paul. Sie bogen in die Einfahrt eines Hauses mit einem steilen Giebeldach ein und hielten. »Willst du gleich zur Eiche weiter oder lieber noch mit uns im Haus zu Mittag essen, Rhosmari?«
Rhosmari zögerte. Sie hatte seit der vergangenen Nacht nichts mehr gegessen und war ziemlich hungrig. Und ihre durch das Eisen blockierte Zauberkraft kehrte zwar allmählich zurück, aber allein zur Eiche zu gehen war ihr trotzdem noch nicht ganz geheuer. Andererseits …
»Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte Timothy. »Iss zuerst etwas mit uns, und dann bringe ich dich zur Eiche. Wenn du willst, komme ich sogar mit rein.«
»Kannst du das denn?«, fragte Rhosmari, aber Timothy sah sie nur vergnügt an.
»Ich glaube, Timothy hat sich ein wenig in die Eiche verliebt«, sagte Peri. »Er nützt jede Chance für einen Besuch. Glaub also nicht, dass du ihm Umstände machst.« Sie öffnete die Tür und stieg aus. Über die Schulter fügte sie hinzu: »Uns übrigens auch nicht.«
Rhosmari betrachtete das Haus und dann wieder Timothy, der ihren Blick erwartungsvoll erwiderte. Seltsam, aber jedes Mal wenn sie glaubte zu wissen, was die Menschen als Nächstes tun würden, taten die zu ihrer Verwirrung etwas ganz anderes.
»Gut«, sagte sie. »Ich komme mit euch.«
ZWÖLF
»Dann klatscht mir etwas Nasses ans Bein«, erzählte Timothy. »Ich drehe mich um, und da liegt Lydia auf dem Boden des Boots und kämpft mit so einem Fisch.« Er breitete die Arme so weit aus, dass er den Wasserkrug umgestoßen hätte, hätte Peri ihn
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