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Rhosmari - Retterin der Feen

Rhosmari - Retterin der Feen

Titel: Rhosmari - Retterin der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wurden sie bei wiederholtem Ansehen schwächer und mussten erneuert werden. Rhosmaris Vater hatte viele Kapseln mit den ältesten Zeugnissen ihres Volkes restauriert und damit vor der Zerstörung bewahrt – doch sein Spezialgebiet war die Geschichte der Kinder des Rhys in der Zeit vor den Grünen Inseln gewesen. Entsprechend enthielten die Kapseln, deren Erhaltung er sein Leben gewidmet hatte, Berichte von Schlachten und Kriegen. Rhosmari hatte sich als Kind einmal in eine Werkstatt geschlichen und eine Kapsel berührt. Von den Bildern, die daraufhin in ihrem Kopf explodiert waren, hatte sie wochenlang Albträume gehabt.
    Sie hatte den Tod bereits erlebt und wollte ihn nicht noch einmal sehen.
    »Lieber nicht«, sagte sie, »jedenfalls nicht die. Gib sie jemand anderem. Vielleicht Broch …« Sie begegnete Fioleds Blick und brach verlegen ab. Broch war zusammen mit Garan verschwunden und würde nicht zurückkommen. »Oder einem von den anderen. Ich nehme die hier.«
    Sie zog ein anderes Tablett mit Berichten aus dem Saal des Gerichts heraus und setzte sich damit an den Tisch. Den Ältesten dabei zuzusehen, wie sie einen Streit zwischen benachbarten Bauern schlichteten oder die Sieger der zweihundertachtundvierzigsten Rhysischen Spiele bekannt gaben, war zwar langweilig, aber wenigstens würde sie nachts gut schlafen.
    Noch lange nachdem Fioled gegangen war, saß Rhosmari im Archiv vor dem Tablett mit den Wissenskapseln und kopierte eine nach der anderen. Doch als die letzten Sonnenstrahlen auf dem Wasser der Cardigan Bay schimmerten und erloschen, wusste sie, dass sie die Begegnung mit ihrer Mutter nicht länger aufschieben durfte. Das Abendessen konnte jeden Moment aufgetragen werden und es war ihre Pflicht, dabei anwesend zu sein.
    Wiederstrebend stellte sie das Tablett ins Regal zurück, schloss das Archiv ab und trat in den Abend hinaus. Am nahen Strand stiegen zischend die Wellen auf und von der anderen Seite der Meerenge kam der einsame Schrei eines Seevogels. Rhosmari schloss die Augen und atmete die salzige Luft tief ein. Dann sprang sie.
    Als sie die Augen wieder öffnete, war die Wiese verschwunden und sie stand vor dem Haus ihrer Vorfahren, einem eleganten, aus Sandstein erbauten Gebäude mit großzügigen Fenstern zum Meer hinaus. Sie trat ein. Im Speisezimmer wartete bereits Lady Celyn.
    Auf den ersten Blick hätte das Zimmer mit seinen über die Jahre nachgedunkelten Balken und den weißen Wänden auch ins Haus des Lernens gepasst. In anderer Hinsicht dagegen hätten die beiden Orte nicht verschiedener sein können. Die hier in den Regalen stehenden Kunstgegenstände aus Messing und Ton befanden sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie, waren aber durch Zaubersprüche geschützt, sodass man sie nicht berühren konnte und kein Fingerabdruck und kein Staubkörnchen ihre Wirkung beeinträchtigte. Die Abstände zwischen Teller und Besteck waren penibel ausgemessen und sogar das Feuer im Kamin brannte gleichmäßiger als jedes echte Feuer. Alles in diesem Zimmer strahlte Ordnung und auch Schönheit aus – nicht aber Behaglichkeit.
    »Du siehst müde aus«, sagte Rhosmaris Mutter, raffte ihr seidenes Gewand und setzte sich. »Hast du heute unterrichtet?«
    »Ja.« Rhosmari setzte sich auf ihren Platz am anderen Tischende. Sie wartete, bis das Serviermädchen den ersten Gang aufgetragen hatte, eine cremige, von zarten Safranfäden durchzogene Fischsuppe, und breitete wie ihre Mutter die Hände aus, um Rhys und der großen Gärtnerin zu danken. Erst dann nahm sie den Löffel und begann zu essen.
    Sie aßen wie immer schweigend, denn nach Lady Celyns Überzeugung hatte man sich während der Mahlzeiten ganz auf die Speisen zu konzentrieren, aus Achtung vor den Dienern, die sie zubereitet hatten. Aus diesem Grund hatte Rhosmaris Mutter auch trotz ihrer hohen Ansprüche keine Schwierigkeiten, ihr Personal zu halten. Es war bekannt, dass sie gute Arbeit zu schätzen wusste und entsprechend belohnte.
    Wenn nur Rhosmari sie auch so leicht hätte zufriedenstellen können.
    Was habe ich falsch gemacht? , wollte sie fragen. Was habe ich angestellt, dass du mich so bestrafen musst? Doch der Mut verließ sie, als sie den Kopf hob und Lady Celyns Augen begegnete, die sie kalt und schwarz aus der glatten kastanienbraunen Maske ihres Gesichts anblickten. Rhosmari und ihre Mutter sahen sich ähnlich, sie hatten dieselbe warme Hautfarbe, dieselben vollen Lippen und dasselbe üppig gelockte Haar. Doch in diesem Augenblick

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