Rhosmari - Retterin der Feen
Zauber bei Mondschein vollzogen …«
Rhosmari erstarrte und die Teetasse blieb auf halbem Weg zu ihrem Mund stehen. »Kannst du das noch mal sagen?«
»Sie hat dafür vor allem …«
»Nein, nicht das. Oder das auch, aber vor allem den letzten Teil. Wie war das mit dem Mondschein?«
Winka nahm das Buch auf, das Rhosmari gelesen hatte, und blätterte einige Seiten vor. »Hier steht es, siehst du? Tiefenzauber – so nennen wir die Arten von Zauber, die du meinst, also die, die wirklich einschneidende Veränderungen bewirken. Sie sind bei Mondschein leichter auszuführen. In der Nacht, in der Amaryllis Klinge in einen Menschen verwandelte, war vom Mond nicht viel zu sehen, deshalb kostete der Zauber sie natürlich viel Kraft. Als dagegen Jasmin die Spaltung vollzog, war Vollmond.«
Vollmond. Sowohl Amaryllis wie Heide hatten davon gesprochen, als sie beschrieben hatten, was Jasmin den Eichenfeen angetan hatte. Aber erst jetzt begriff Rhosmari, wie wichtig die Information womöglich war. Sie setzte ihre Tasse so schnell ab, dass der Tee auf den Tisch schwappte, und stand auf.
»Ich muss mit Königin Baldriana sprechen«, sagte sie. »Sofort.«
Kaum eine Stunde später herrschte in der Eiche höchste Alarmbereitschaft. Rhosmari hatte nicht viel erklären müssen, Königin Baldriana hatte die Gefahr sofort erkannt. Denn in dieser Nacht war zum ersten Mal seit der Niederlage der Kaiserin in Waverley Hall wieder Vollmond. Also darauf hatte Jasmin gewartet – den Zeitpunkt, an dem ihre Kraft am stärksten war und sie die Rebellion mit einem einzigen gewaltigen und schrecklichen Zauber ersticken konnte. Das passte nicht nur zu ihrem Charakter und ihrem Verhalten in der Vergangenheit, sondern auch zu allem, was sie bisher getan hatte. Rhosmari hoffte inbrünstig, die Eichenfeen würden ein Mittel finden, die Kaiserin zu stoppen, bevor sie ihren Plan ausführen konnte.
Dorna, Rob und Garan versammelten ihre Truppen in der Halle am Fuß der Wendeltreppe – dem größten Raum innerhalb der Eiche – und erklärten ihnen, was von ihnen erwartet wurde. Wer nicht kämpfen wollte oder konnte, sollte dazu beitragen, den Schutzzauber um den Baum zu verstärken, damit er dem Angriff der Kaiserin und ihres Gefolges standhielt. Andere Feen sollten weitere, möglichst starke Abwehr- und Schweigezauber über die Eichenwelt verhängen, damit zufällige Passanten nicht versehentlich zwischen die Fronten geraten konnten. Die Soldaten aber sollten in Abteilungen gegliedert nach draußen marschieren, um die Eiche, den Garten und die Wiesen der Umgebung gegen die Feinde zu verteidigen.
Nach der Versammlung kehrte Rhosmari in die Bibliothek zurück, um sich dort mit Pechnelke, Winka und Linde zu besprechen. Die Überlegung, wie sie den Eichenfeen helfen sollte, hatte Rhosmari einiges Kopfzerbrechen bereitet, und noch schwerer war ihr gefallen, ihren Plan der Königin vorzutragen. Doch jetzt, nachdem Königin Baldriana ihn abgesegnet hatte, saß sie zwischen den anderen am Tisch, vor sich eine leere Wissenskapsel, und erklärte ihnen, was sie tun wollte.
»Unabhängig davon, ob wir gewinnen oder verlieren«, sagte sie, »muss jemand bezeugen, was in dieser Schlacht wirklich geschah. Die Kaiserin und ihre Leute können dann behaupten, was sie wollen. Damit« – sie berührte die Kapsel vorsichtig – »werdet ihr immer eine Aufzeichnung dessen haben, was wirklich passiert ist.«
»Wie Heides Tagebücher!«, rief Winka, und Pechnelke fügte hinzu: »Nur besser.«
»Das Füllen einer solchen Kapsel erfordert äußerste Konzentration«, fuhr Rhosmari fort. »Wer nicht schon eine Menge Wissenskapseln gesehen hat, weiß nicht, was eine gute Kapsel ausmacht. Deshalb biete ich euch an, eine herzustellen – ich brauche dazu allerdings eure Hilfe.«
Rhosmari erläuterte kurz den Plan, auf den sie und Königin Baldriana sich geeinigt hatten. Sie würde auf dem westlichen Hauptast Stellung beziehen, von dem man das Kampfgeschehen am besten verfolgen konnte. Pechnelke sollte neben ihr stehen, während sie die Samenkapsel füllte, damit sie es später selber tun konnte. Winka mit ihrer besonderen Fähigkeit, Dinge unsichtbar zu machen, würde dafür sorgen, dass niemand sie sah. Und Linde würde auf interessante Einzelheiten oder mögliche Bedrohungen achten, die Rhosmari entgingen.
Rhosmari sprach ganz ruhig und deutlich, wie sie es bei ihren Schülern tat, aber innerlich krampfte sie sich bei jedem Wort zusammen. Sie wusste, ihr Vater wäre
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