Rhosmari - Retterin der Feen
beides nie wiedersehen.
Aber wenn sie tat, um was er sie bat, konnte sie auch nicht mehr zu den Grünen Inseln zurückkehren. »Ich kann nicht«, erwiderte sie leise. »Es tut mir leid.«
Garan nickte traurig. Er ging zur Tür und rieb sich dabei die Schläfen.
»Und dir fehlt wirklich nichts, Garan?«, fragte Rhosmari.
»Es geht schon«, antwortete er abwesend und verschwand.
Königin Baldriana ließ Malve suchen, sobald sie von ihrer Flucht erfuhr, aber der Suchtrupp kehrte mit leeren Händen zurück. Dorna, Rob und Garan schickten darauf alle Feen auf ihre Zimmer. Sie sollten sich bis zum Einbruch der Nacht noch ausruhen.
Rhosmari kehrte in ihr altes Zimmer zurück und legte sich hin, konnte aber nicht schlafen. Ständig gingen ihr unbeantwortete Fragen durch den Kopf. Warum hatte Malve so unbedingt fliehen wollen? Was hatte sie vor? Handelte sie auf eigene Faust oder war sie zur Kaiserin übergelaufen?
Und warum war es auf einmal so warm? Ruhelos wälzte Rhosmari sich auf der knisternden Matratze hin und her und schlug die Decke zurück. Ein schwacher Wind bewegte den Vorhang am Fenster, brachte aber keine Kühlung. Es blieb drückend und schwül. Rhosmari sehnte sich nach dem frischen Wind, der immer auf den Grünen Inseln wehte.
Aber nicht nur danach. Sie vermisste den Geruch nach Sand und Seetang, das Klatschen der Wellen gegen die Felsen und die fernen Schreie der Möwen und Tölpel. Sie fragte sich, womit Lord Gwylan sich wohl beschäftigte, seit er nicht mehr zu den Ältesten gehörte, ob Lady Arianllys weitere Visionen gehabt hatte und ob Fioled das Festland noch besuchen würde. Sie wünschte, sie hätte sich vor ihrer Abreise von ihren Schülern verabschieden können.
Und sie vermisste ihre Mutter.
Bis jetzt hatte sie sich nicht den Luxus erlaubt, um ihre Heimat zu trauern, aus Furcht, dass sie, wenn sie erst damit anfing, nicht mehr aufhören konnte. Nachdem der erste Schrecken und Zorn über ihr unfreiwilliges Exil in der Eiche vergangen war, hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben und der Versuchung widerstanden, wegzulaufen. Auch wenn ein verräterisches Stimmchen in ihr flüsterte, dass sie sich vielleicht doch der Kaiserin unterwerfen sollte, um die Grünen Inseln wiederzusehen …
Doch jetzt kamen die Tränen und tränkten ihr Kopfkissen. Trotz ihrer Bemühungen fühlte sie sich nicht zur Eiche zugehörig. Die Eiche war nicht ihre Heimat, die Eichenfeen waren nicht ihr Volk. Selbst Garan war ihr fremd geworden, er war mit anderen Dingen beschäftigt. Der Letzte, der sie in die Arme genommen und getröstet hatte, war Martin gewesen.
Kummer drohte sie zu überwältigen, da hörte sie plötzlich Musik. Der Wind trug ihr die zitternden Töne gezupfter Saiten zu. Sie kamen nicht aus der Eiche, aber auch nicht von weit weg.
Rhosmari setzte sich auf und trocknete sich die Augen mit dem Laken. War es Rob, der da spielte? Sie wusste, dass er ein guter Musiker war, aber er hatte kein Instrument angerührt, seit sie ihn kannte. In der Eiche schien es überhaupt keine Musikinstrumente zu geben.
Sie stand auf und ging zum Fenster. Die vielen Äste behinderten die Sicht, aber sie konnte die Rückseite des Hauses erkennen und den jungen Mann, der mit einer Gitarre im Schoß auf der Terrasse saß.
Timothy, natürlich. Wie hatte sie das vergessen können?
Er spielte gut und flüssig und hielt nur hin und wieder inne, um einen Ton zu korrigieren oder eine Phrase zu wiederholen. Und die Musik klang anders als alle Musik, die sie je gehört hatte – im einen Augenblick melancholisch, im nächsten beschwingt und hoffnungsvoll, mit einem so fröhlichen Rhythmus, dass ihr die Finger zuckten, und dann wieder langsam, zögernd, fast fragend. Rhosmari hatte geradezu den Eindruck, nicht einem Lied, sondern einem Gespräch zu lauschen, Worten einer fremden Sprache, die sie nicht verstand. Trotzdem fühlte sie sich beruhigt und getröstet. Sie war nicht allein.
Das Licht des Nachmittags verging und der Himmel verfärbte sich zu einem tiefen Marineblau. Bald würde die Nacht hereinbrechen, und was dann geschah, wusste niemand. Rhosmari löste ihre Haarspange, kämmte die Haare mit den Fingern und steckte sie wieder fest. Sie strich sich mit den Händen über die zerknitterte Bluse, schnallte ihren Gürtel enger und straffte die Schultern. Dann sprang sie zur Veranda, auf der Timothy saß.
Als sie wieder feste Gestalt annahm, wurde ihr auf einmal ganz schwach und sie stolperte und wäre fast gestürzt. Jemand
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