Rhosmari - Retterin der Feen
als bisher angenommen.
Doch so schön Rhosmari diese friedlichen Abende fand, glaubte sie doch fest, dass sie bald enden würden. Außerdem war sie damit unzufrieden, dass alle anderen Feen einen Beitrag zur Verteidigung der Eichenwelt leisteten, während sie selbst offenbar nichts beisteuern konnte. Die Spannung in der Eiche wuchs von Stunde zu Stunde und aller Nerven lagen blank, da jederzeit ein Angriff drohen konnte – doch die Tage vergingen und nichts passierte, wie bei einer langsamen Art der Folter. Wollte die Kaiserin sie vielleicht in den Wahnsinn treiben? Wartete sie, bis die Eichenfeen aufgaben und in ihrer Wachsamkeit nachließen, um dann zuzuschlagen, wenn sie am wenigsten damit rechneten?
Nein, ein solches tatenloses Abwarten passte nicht zu Jasmin, sie plante bestimmt etwas anderes. Es musste etwas geben, das Rhosmari übersehen und nicht in Betracht gezogen hatte. Unablässig suchte sie weiter. Die Vorstellung, die Eichenfeen ihrem Schicksal zu überlassen, war ihr unerträglich. Zumal sie wusste, was die Kaiserin mit ihnen machen würde, wenn sie siegte …
Eine Welle der Übelkeit überkam sie wie immer, wenn sie sich vorstellte, sie könnte ihren Namen erneut verlieren. Wieder zu einem Sklaven, einem Pfand, einem Instrument in der Hand der Kaiserin oder einer anderen Person zu werden – undenkbar. Das durfte nicht geschehen. Lieber stürzte sie sich vom Wipfel der Eiche oder ertränkte sich in einem Fluss.
Pechnelke, die Rhosmaris Rastlosigkeit bemerkte, schlug vor, sie solle sich in der privaten Bibliothek der Königin umsehen, und Baldriana gewährte ihr bereitwillig Zugang zu den Büchern. Rhosmari durchsuchte die Regale, fand aber nichts Brauchbares mit Ausnahme einiger Bücher über Magie. Sie zog eins heraus und nahm es zum Lesetisch mit, allerdings ohne große Erwartungen, mehr aus Pflichtgefühl. Schließlich hatten die Eichenfeen zweihundert Jahre lang nicht zaubern können, wahrscheinlich verstanden sie deshalb auch nicht viel davon.
Doch beim Lesen merkte Rhosmari schnell, wie sehr sie sich geirrt hatte. Die Eichenfeen verfügten, was die Verwendung von Magie anging, über einen geradezu faszinierenden Schatz an überliefertem Wissen. Rhosmari hatte noch nie so etwas gelesen. In Ermangelung männlicher Feen hatten die Eichenfeen sich Arten des Zauberns angeeignet, die für andere weibliche Feen schwierig bis unmöglich waren – wie Heilzauber oder dauerhafte Verwandlungszauber. War Jasmin deshalb so rasch an die Macht gelangt? Mithilfe von Fähigkeiten aus dem Erbe der Eichenfeen, die andere Feen nicht bei ihr vermuteten?
»Kommst du zurecht?«, fragte Winka und kam mit einem vollen Tablett herein. »Ich dachte mir, du kriegst beim Lesen vielleicht Hunger.«
»Das … ist sehr aufmerksam von dir«, sagte Rhosmari einigermaßen überrascht. Ihrem bisherigen Eindruck nach diente Winka niemandem außer der Königin und selbst Baldriana schien größte Achtung vor ihr zu haben. Warum bediente sie dann jetzt sie? Selbst auf den Grünen Inseln hätten niemand so etwas ungefragt getan – und ohne Gegenleistung.
Winka schenkte ihr eine Tasse Tee ein, setzte sich neben sie und sah sie mit ihren blauen Augen neugierig an. »Hast du etwas gefunden, das uns gegen Jasmin helfen könnte? Danach suchst du doch, nicht wahr?«
Rhosmari nickte. »Leider nein, ich habe nichts gefunden, oder wenigstens bisher nicht.« Sie nahm einen Bissen von dem Honigkuchen und fuhr fort: »Aber einiges, was ich über die magischen Fähigkeiten deines Volkes gelesen habe, hat mich sehr beeindruckt. Ich wusste gar nicht, was ihr alles zaubern könnt.«
»Wir können das ja eigentlich auch nicht«, sagte Winka. »Ich meine, meist hat nur die Königin gezaubert, weil sie als Einzige die Kraft dazu hatte. Und selbst sie hat nur gezaubert, wenn es unbedingt notwendig war, weil es sie so sehr anstrengte.« Ihr Gesicht nahm einen abwesenden Ausdruck an. »Ich erinnere mich noch, wie Königin Amaryllis Klinge in einen Menschen verwandelte. Danach war sie tagelang geschwächt … und wurde meines Wissens nie mehr so stark wie vorher.«
Rhosmari runzelte die Stirn. »Aber Jasmin bewirkte die Spaltung, wie ihr sie nennt, doch mit einem Verwandlungszauber, nicht wahr? Der war doch bestimmt noch viel anstrengender und trotzdem …«
»Sie war danach nicht entkräftet, nein«, gab Winka zu. »Aber der Grund dafür war, dass sie dafür auch unsere Zauberkraft verwendete statt nur ihre eigene. Und natürlich hat sie den
Weitere Kostenlose Bücher