Richard Dübell
kommen, in einem Kessel Gulasch ertränkt zu werden, würde ich es von Ihnen kochen lassen.«
»War das ein Kompliment?«, fragte sie überrascht.
»Jede Silbe davon.«
»Oh!« Sie begann zu strahlen.
»Womit hatten mein Vater und ich das verdient?«, fragte Peter, eifrig bemüht, Floras wegen zu betonen, dass auch Daniel Bernward von der Kochkunst Sabrinas profitiert hatte.
Sabrina zuckte mit den Schultern. »Mir war danach«, sagte sie und lächelte Peter an. Peter ahnte, wie enttäuscht sie gewesen sein musste, als ihr Daniel Bernward die Tür geöffnet hatte statt seines Sohnes, und war auf einmal sehr dankbar dafür, dass er seinen Volvo vergangenen Abend am anderen Ende der Grieserwiese hatte parken müssen.
»Bevor Kollege Bernward in einem Kessel Gulasch ertrinkt«, sagte Flora mit triefendem Sarkasmus in der Stimme, »wollen wir eigentlich noch was nachsehen.«
»Ich hab einen Schlüssel«, sagte Sabrina. »Jeder Staatsanwalt hat einen. Ich stell bloß die Ordner hier zurück, dann helfe ich euch. Was sucht ihr denn?«
»Die Giftmorde der letzten fünfzig Jahre«, sagte Flora.
Peter warf seiner Kollegin einen Blick zu. Die Schärfe in ihrer Stimme überraschte ihn. Sabrina nahm sie entweder nicht wahr oder ignorierte sie. Die Staatsanwältin stellte die Ordner an ihren Platz in einem der anderen Regale zurück, indem sie den Rollladen mit ihrem Schlüssel öffnete, die Ordner einsortierte und dann den Schrank wieder verschloss. Peter folgte ihren Bewegungen mit erwachender Hoffnung.
»Frau Staatsanwältin kocht für dich?«, raunte Flora.
»Hör bloß auf«, murmelte Peter. Er riskierte einen Blick in Floras Gesicht. An ihrer hochgezogenen Augenbraue konnte er erkennen, dass sie nicht amüsiert war.
Sabrina kam wieder zu ihnen. »Worum geht’s?«
»Wir suchen diese Akte«, sagte Peter und gab ihr den Zettel, bemüht, Sabrinas Fingerspitzen dabei nicht zu berühren.
Sabrina sperrte den Rollladen auf, musterte dann die Aufschriften auf den Etiketten der Hängeregistraturen und zog schließlich die unterste davon mit Schwung heraus. Die Hängeregister hüpften, Staub wirbelte hoch. Sabrinas Finger fuhr über die Plastikreiter. Es gab ein schnarrendes Geräusch, das Peter an die Zeiten erinnerte, da er als Junge Bierdeckel an die Radgabel geklipst hatte, damit sein Fahrrad sich anhörte wie eine Rennmaschine. Das Schnarrgeräusch stoppte.
»Hier ist sie«, sagte Sabrina, und nach einem Moment: »Hier war sie.«
Peter betrachtete die Nummern auf den Reitern, auf die Sabrina wies. Sie waren fortlaufend. Die Nummer, die Peter tags zuvor vom PC abgeschrieben hatte, fehlte. Er wusste, dass er sie nicht falsch notiert hatte.
»Gab es keinen Entnahmeeintrag im System?«, fragte Sabrina.
»Nicht, dass ich einen gesehen hätte.«
Die Staatsanwältin schnaubte. »Das passiert immer wieder. Kollegen nehmen eine Akte heraus, weil sie was nachschauen wollen, melden sich nicht bei der Registratur, weil sie die Akte ja nur kurz brauchen, und dann liegt sie jahrelang in ihrem Schreibtisch herum.«
»Da fehlt ein Reiter bei einer Mappe«, sagte Flora.
»Die Dinger werden locker, je älter sie sind«, erklärte Sabrina. Sie hob die Akte heraus. »Mal schauen, was für ein Fall das ist … Du lieber Gott, ein Vorgang aus der Steinzeit!«
Sie hatte die Hängeordner vor und hinter der reiterlosen Akte weggeschoben, um den Ordner herausheben zu können. Peter schaute durch die Lücke und sagte: »Da unten liegt der Reiter.«
Sabrina streckte die Hand danach aus.
»Warten Sie!«, sagte Peter hastig und fischte den Reiter mit spitzen Fingern selbst heraus. Dann legte er ihn auf den Boden, holte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und knipste die winzige Taschenlampe an, die er als Schlüsselanhänger benutzte. Der schwächliche blaue Schein des Lämpchens fiel auf die Staubschicht, die sich auf dem Boden des Registraturschranks gebildet hatte.
»Fällt euch was auf?«, fragte er.
Die beiden Frauen schüttelten den Kopf.
»Wenn der Reiter schon länger dort unten gelegen hätte, würde man es sehen – an der Stelle wäre weniger Staub. Man erkennt aber nur die Kratzer hier und hier, wo er aufgeschlagen ist.«
»Also ist das Ding erst vor kurzem abgegangen«, sagte Flora. »Was soll daran besonders sein?« In ihrer Stimme schwang immer noch ein feindseliger Klang mit.
»Wie oft schaut jemand in diese Schränke hinein?«, fragte Peter.
»Wahrscheinlich eher selten«, mutmaßte Sabrina. »Sie wissen
Weitere Kostenlose Bücher