Richard Dübell
zwei junge Frauen, die zu irgendwelchen Kamerateams gehörten und sich zu der großen Kastanie begeben hatten, um dort im Gras zu sitzen und zu rauchen, hatte sich niemand in Roberts Nähe bewegt.
Vor einigen Minuten war ein kleiner Fahrzeugkonvoi eingetroffen – keine Übertragungswagen eines Senders, sondern der Präsident der Bayerischen Schlösserverwaltung sowie ein Staatssekretär des Außenministeriums, wie Robert von den Kollegen erfahren hatte, die als Mitarbeiter der Security-Firma auftraten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits alle ihre Mobiltelefone auf Konferenzschaltung gestellt, damit jeder für jeden erreichbar war – ein Service, der mit den offiziellen klobigen und lauten Funkgeräten nicht möglich war. Es war eine von Haralds ersten Taten nach der Bildung der SOKO gewesen, alle Mitglieder mit gleichartigen Mobiltelefonen auszurüsten. Robert ahnte, dass sein Chef dafür einiges an Überzeugungskraft gegenüber seinen Vorgesetzten aufgebracht haben musste. Mit Sicherheit würde Harald diese Hartnäckigkeit, wenn er sich stellte und den versehentlichen Todesschuss auf den Juwelier gestand, nicht als strafmildernd angerechnet.
In den vergangenen Stunden hatte Robert die Gewissheit, dass Blofelds Ende auch zugleich das Ende von Harald Sanders und seiner, Roberts, Karriere bedeutete, weggeschoben. Auf seinem ereignislosen Warteposten hatten die Gedanken daran ihn aber wieder ereilt. Er fragte sich, wie es Harald die letzten beiden Tage gelungen war, so zu tun, als würde ihn all das gar nicht betreffen.
»Sichtung!«, ertönte plötzlich eine Stimme in seinem Ohrhörer. Er zuckte zusammen. Wer hatte die Meldung abgegeben? »Hier ist Rolf. Sichtung …«
Robert hob das Handy an den Mund. Er rief sich in Erinnerung, wo Rolf postiert war – richtig, als Kamerateam zusammen mit Bülent beim ehemaligen Hofstallgebäude, wo sich jetzt die Burgverwaltung befand. Wenn er den Hang, der vom Jägerhaus zum inneren Torbau nach oben führte, halb hinaufgegangen wäre, hätte er sie vermutlich dort stehen und so tun sehen, als würden sie ihr Equipment vorbereiten. Unwillkürlich flüsterte auch er. »Hier Robert. Beide Ziele?«
»Nein, nur Ziel Nummer zwei.«
Ziel Nummer zwei war nicht Blofeld, sondern sein Komplize, von dem sie annahmen, dass es Eric Heigl war. Was sich an Bildmaterial in Erics Haus gefunden hatte, war den Kollegen gezeigt worden.
»Bist du sicher?«, zischte Robert.
»Fünfundneunzig Prozent«, flüsterte Rolf. »Groß, braungebrannt, sportliche Figur … so ziemlich das Gegenteil von allen anderen hier.«
»Und was ist mit den restlichen fünf Prozent?«
»Ich würde sagen, die ergeben sich dadurch, dass er die Kamera verkehrt herum hält.« Plötzlich sagte Rolf laut: »Nein, nach den Aufnahmen verschwinden wir. Ja! Ja! Was glaubst du denn? Ich hab keine Lust, schon wieder über die Überstunden zu streiten, ist schon scheiße genug, an so einem Abend hier ein paar blöde Klunker zu filmen.«
Robert ahnte, dass Eric Heigl so nahe an Rolf und Bülent vorbeigekommen war, dass Rolf so tun musste, als würde er mit einem seiner Redakteure sprechen. Sein Herz schlug jetzt hart und schnell. Eric Heigl war da. Dann konnte Blofeld nicht fern sein. Wieso lief Heigl überhaupt allein herum? Wenn die Tarnung als Kamerateam auf Dauer funktionieren sollte, müssten er und Blofeld zusammen sein.
»Was sollen wir tun, Harald?«, flüsterte er. »Zugriff? Abwarten?«
Zu seiner Überraschung meldete sich Harald nicht. War die Verbindung noch schlechter als zuvor? Aber wenn Harald noch in dem kleinen Gärtchen beim Falkenturm steckte, war er kaum hundert Meter Luftlinie von Bülent und Rolf entfernt. Wie schlecht konnte die Verbindung auf diese kurze Distanz werden?
»Harald?«
Monikas Stimme wurde hörbar. »Erreichst du ihn nicht? Harald? Hier ist Monika!«
Haralds Telefon schwieg. In Roberts Magen senkte sich ein eiskalter Klumpen.
»Harald?«, fragte er.
»Scheiße«, zischte Monika. »Was ist das für ein Spiel? Harald, melde dich!«
Robert schwieg. Er wusste, dass Harald sich nicht melden würde. Er wusste plötzlich auch, dass Blofeld nicht auf der Burg Trausnitz auftauchen würde. Das Spiel, das hier gespielt wurde, war ein Scheiß-Spiel, und die beiden Protagonisten trugen es an irgendeinem anderen Ort aus. Was sich hier an Spielern herumtrieb, waren nur die Bauern, die man im Ernstfall entbehren konnte. Sollte er diese Erkenntnis mit dem Team teilen? Was sollte er Monika und
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