Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Hirnschmalz.
Lukastik parkte den Wagen außerhalb des Geländes und spazierte dann hinüber zu dem auf der Westseite gelegenen Gebäude, in dem sowohl Sternbachs Wohnung lag als auch der luftige Fundort von Oborins Leiche. Und in dessen fünften Stockwerk eine Wohnung sein sollte, die unter dem Namen Barwick registriert war.
Den Haupteingang, eine Front aus dunklem Glas, versperrten zwei uniformierte Beamte. Nicht weiter verwunderlich, da man wohl noch immer dabei war, Sternbachs Wohnung zu durchsuchen. Vielleicht auch Nachbarn zu befragen, wie denn Sternbach so gewesen sei. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß der Friseur noch weitere Verbrechen zu verantworten hatte. Jeder überführte Täter fiel sozusagen in ein Loch ungeklärter Fälle. Und es war mehr als legitim, nachzusehen, ob dessen Füße in bislang verwaiste Stiefel paßten.
Bezüglich Sternbach würde dies natürlich kaum der Fall sein. Davon war Lukastik überzeugt. Leute wie Sternbach taten alles nur einmal.
Als sich der Chefinspektor nun dem Eingang näherte, nahmen die beiden Uniformierten ein wenig Haltung an – so wie man ein wenig Milch verschüttet oder ein wenig Knoblauch ins Essen gibt –, salutierten und traten zur Seite. Lukastik marschierte grußlos an ihnen vorbei.
Zunächst fuhr er hinauf ins einundzwanzigste Stockwerk. Auf dem Gang vor Sternbachs kleiner Wohnung standen zivile Beamte, rauchend, plaudernd, Kaffeetassen in der Hand haltend. Eine Frau, die einen seidenen, luftigen Bademantel trug und auf ihren hochhackigen, fragilen Sandaletten geschickt balancierte, hielt eine offene Zuckerdose in der Hand. Ihre langen, hellrot lackierten Nägel bildeten einen blütenartigen Kranz um das Weiß des Kristallzuckers.
Als Lukastik den Flur betrat, schienen alle Anwesenden aus einer Art Idylle herauszufallen. Man blickte betreten zur Seite.
»Lassen Sie sich nicht stören«, empfahl Lukastik. Daß er dies ernst meinte, konnte sich niemand so richtig vorstellen.
Lukastik betrat das Appartment und sah sich um. Der kombinierte Wohn- und Schlafraum, der eine kleine offene Küche in der Art eines Wurmfortsatzes barg, schien nur wenig über den Menschen auszusagen, der beizeiten hier übernachtet hatte. Die Einrichtung wirkte unpersönlich, wie blind gekauft. Billiges und Teures standen nebeneinander, aber lange nicht so originell wie in Rolands Teich . An den Wänden hingen kleinere Geweihe, wobei sich Lukastik nicht wirklich vorstellen konnte, daß Sternbach je auf die Jagd gegangen war. Obgleich er natürlich die Pistole, die er gegen sich selbst richtete, durchaus zu benutzen verstanden hatte.
Ein einziger Beamter war damit beschäftigt, Teile des Parkettbodens zu entfernen, wohl in der Hoffnung auf ein Versteck oder Partikel von Bedeutung. Auf dem Balkon, der mehr in den Raum wuchs, als daß er nach außen führte, standen zwei Frauen und blickten hinüber auf den bewaldeten Stadtrand, auf eine Kette von Erhebungen, die trotz bescheidener Höhen einen bastionartigen Charakter besaßen. Als die beiden Frauen Lukastik bemerkten, kam eine von ihnen ins Zimmer zurück. Es war die Einsatzleiterin vor Ort. Sie begrüßte Lukastik mit einem Blick, der etwas von einer Schere hatte, die ruckweise durch hartes Papier geführt wird.
»Mein Gott, dieses fürchterliche Weib«, dachte sich Lukastik und ließ sich von dem fürchterlichen Weib erklären, daß man außer jenem Buch und jener Haifotographie noch nichts gefunden habe, was einen eindeutigen Hinweis auf das Verbrechen liefern könne. Oder auch nur auf außergewöhnliche Lebensgewohnheiten. Keine Waffen, keine Haifischzähne, nichts.
»Nicht einmal Pornographisches«, sagte die Polizistin, als würden pornographische Produkte die Mindestausstattung einer kriminellen Existenz darstellen.
»Wissen wir denn eigentlich«, fragte Lukastik und zeigte auf die Trophäen an der Wand, »ob Sternbach Jäger war?«
»Wenn Sie es nicht wissen?« meinte die Frau, äußerte jedoch die Vermutung, daß es sich hierbei um reine Schmuckstücke handle, vorausgesetzt, man könne sich dazu durchringen, die abgetrennten Hautknochenbildungen toter Paarhufer als bloße Dekoration zu begreifen. Jedenfalls würde außer diesen Geweihen nichts auf eine Jägerexistenz Sternbachs hinweisen. Bei den meisten Büchern handle es sich um Belletristik. Alles sehr gemischt: Tolstoi, die Brüder Mann, Ranicki-Kanon, aber auch Schund. Jedoch keine Haibücher, keine Jagdbücher.
»Hören Sie zu«, sagte Lukastik im Ton
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