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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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kein Hai. Etwas riß ihn nach oben. Ein Gurt, den er bisher noch gar nicht bemerkt hatte, wand sich enger um seine Brust, spannte sich unter den Achseln und schien auf Höhe des Nackens in einen Karabiner zu münden, durch den die Schlaufe eines nun straffen Seils führte. Nach diesem ersten heftigen Ruck trat eine Pause ein. Lukastik bemerkte, daß die Fische davongeschreckt waren. Er konnte sich allerdings denken, daß dadurch ihre Neugierde neue Nahrung erhielt. Es folgte ein nächster Schub, milder als der erste. Sodann ergab sich ein halbwegs gleichmäßiges Ziehen, das ihn kopfvoran in Bewegung versetzte. Er selbst unternahm rein gar nichts. Er hing flossenlos im Seil und spürte die Annäherung der Fische. Erneut fuhr die Kante einer Schnauze in Lukastiks Seite, schlug mit Wucht gegen seine rechte Niere, so daß er einige Meter zu Seite getrieben wurde, nicht viel anders, als sei er durch die Luft geschleudert worden. Der Schmerz war so groß, daß ihm genau jener Schrei entfuhr, den er unbedingt hatte vermeiden wollen. Aus gutem Grund. Denn im Zuge dieses Schreis entglitt ihm sein Mundstück, dessen Befestigung er ja zuvor eigenhändig gelöst hatte.
    Lukastik schluckte Wasser, schwarzes, süßes Wasser. Dabei strampelte er mit den Füßen, wie um eine Pumpe zu betätigen. Voll Panik griff er ins Dunkel hinein, fuhr mehrmals durch die Leere, bekam aber schließlich den »Frosch« zu fassen, den er sich zurück in die Mundhöhle schob. Er biß geradezu wütend in den weichen Kunststoff und hustete das Wasser aus dem Kanal hinaus. Seine Atmung galoppierte. Er schwitzte. Zumindest war dies sein Eindruck, der ihm absurd erschien: ein Schweißausbruch unter Wasser. Endlich beruhigte er sich und nahm die Luft wieder entgegen wie ein kleines, verpacktes Geschenk, dessen Glitzerpapier man nicht wie ein Verrückter aufreißt, sondern sorgsam Stück für Stück öffnet, um sich sodann in angemessener Weise zu erfreuen. Er atmete in Ruhe und Demut, die Verbissenheit bezog sich allein noch auf das Mundstück.
    Lukastik wurde in der Folge – während eine namenlose Kraft ihn stückweise aufwärts zog – immer wieder von einem der Haifische angestoßen. Attackiert wäre ein zu hartes Wort gewesen. Die Tiere arbeiteten wie an einem Sandsack. Ein Sandsack ist kein Gegner, er simuliert nicht einmal einen Gegner, da er ja ohne eigene Bewegung bleibt. Daran hielt sich auch Lukastik, indem er jetzt starr wie eine Puppe am Seil hing. Wie lange das so ging, konnte er nicht sagen. Auch die Zeit verpuppte.
    Doch selbst eine verpuppte Zeit vergeht. Freilich vergeht auch der Inhalt einer Druckluftflasche. Und wenn Lukastik zuvor in halbwegs freundlicher Weise an den Tod gedacht hatte, dann eigentlich an jenen, der sich im Zuge eines Haiangriffs ergab, und nicht an den des Erstickens. Dennoch: Sie ging ihm aus, die Luft. Sie ging ihm aus, nicht anders als die Batterie in einem Radiogerät. Einen Moment scheint die Musik oder die Stimme des Sprechers zu zögern, sich der eigenen Schwäche zu vergewissern. Dann Ende.
    Es war famos. Famos und überwältigend. Wie in einem dieser Filme, wenn die Spannung in einem hysterischen Nullpunkt kulminiert. Lukastik, ohne Flossen, jetzt auch ohne Luft, sah ein Licht über sich, erkannte die Verzerrung einer Wasseroberfläche, erkannte nun sogar das Seil, das durch diese Oberfläche drang und einen optischen Knick erfuhr. Das Seil, an dem er hing. Freilich fehlte im Moment jeglicher Zug. Offenkundig bemühten sich die Helfer, eine allzu rasche Dekompression zu verhindern.
    Für Pausen allerdings hatte Lukastik keine Zeit. Auch nicht dafür, sich um die Fische zu kümmern, deren markante Gestalt in der zitternden Scheibe von Licht sichtbar wurde. Lukastik benutzte endlich seine Hände, schlug mit den Füßen aus und tauchte nach oben. Doch war die Distanz länger, als er gemeint hatte. Was allerdings auch für seinen Atem galt. Ein wenig fühlte er sich wie jemand, der nicht zu atmen brauchte, weil er gar nicht mehr richtig am Leben war. Sehr wohl aber in Bewegung.
    Den Körper eines Fisches touchierend – ein Mensch unter Haien, ein Polizist unter Haien – brach er durch die Oberfläche, riß den Mund auf und holte sich, was ihm zustand. Den ganzen Teller. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Wieder einmal.

22       Beide Teile des Fensters standen offen. Draußen wog und flitterte die schlanke Gestalt einer Birke im warmen Wind eines Sommers, dessen Hitze etwas an Schärfe verloren hatte und

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