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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Eindruck, bei anderen basierte die Verwahrlosung auf einem definitiv kostspieligen Schick. Alle, wie sie waren, wandten sich zu Jordan um, auch jenes Mädchen, das er von der Tür gestoßen hatte. Sie meinte bloß: »Ach Gott, wessen Papa ist das?«
    »Nur die Polizei«, sagte Jordan und hob seine Waffe höher, damit ein jeder sie sehen konnte.
    Die Waffe beeindruckte, gar keine Frage.
    »Wo ist der Mann?« rief Jordan. Seine Stimme hallte, als stünde er auf der Bühne eines Theaters.
    Die Jugendlichen zeigten auf ein Seil, das in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Metern aus dem Wasser gerade nach oben ragte, einen an der Decke angebrachten Haken durchlief und sodann steil zum Ufer hinüberführte, wo es an einem Betonklotz befestigt war.
    Jordan erkannte nun eine mächtige, gipfelartig zugespitzte Rückenflosse, die für einen Moment die Wasseroberfläche durchbrach, mehr eine klarsichtige Scherbe darstellend. Aber es war dennoch ein Hai, der hier durchs Wasser trieb. Dann fiel irgendein Ding aus einer der Röhren und klatschte heftig auf, woraufhin eine beträchtliche Unruhe im Wasser entstand, wie bei einer kleinen Explosion. Wenig später war alles wieder vorbei, das Wasser glatt bis leicht gewellt.
    Jordan rannte hinüber zum Seil, wobei er nach den Jugendlichen pfiff und sie anwies, ihm zu helfen.
    »Der Mann ist doch noch gar nicht tot«, sagte einer, um zu argumentieren, warum er sitzenblieb. So wie die anderen.
    Jordan streckte die Hand aus, in der er seine Waffe hielt und richtete den Lauf gegen das Bein des Jugendlichen. Dann sagte er: »Zwei Sekunden.« Der Junge schnellte in die Höhe und beeilte sich, die zwei Sekunden zu nutzen, um an Jordans Seite zu gelangen. Mit ihm ein paar andere, denen an der Gesundheit ihrer Beine gelegen war. Gemeinsam löste man das Seil vom Stein und begann zu ziehen.
    »Langsam wäre besser«, sagte ein Junge mit Haaren wie ein Bison. Und ergänzte: »Wegen der Haie und wegen dem bißchen Taucherkrankheit.«
    »Du hast recht«, stimmte Jordan zu, »langsam also.«

21       Lukastik empfand jetzt eine große Freiheit, die darin bestand, sich dem Tod quasi zur Disposition zu stellen. Zwar nicht ehrerbietig, so doch ohne jedes Gejammer. Weil der Tod sich aber Zeit ließ – die Fische umschwammen Lukastik in spürbarer Nähe, verzichteten gleichwohl darauf, zuzubeißen –, kam Lukastik nicht umhin, sich ein wenig Gedanken über sein Leben zu machen. Einen rein persönlichen Strich zu ziehen. Ohne daß deshalb gleich seine ganze Biographie in hohem Tempo vorbeigezogen wäre. Vater und Mutter blieben in jeder Hinsicht unberücksichtigt und damit auch unbedankt. Allein das Bild seiner Schwester drängte sich ihm auf, ihre Schönheit, die ja in keiner Weise verblüht war, sondern hinter der Fassade einer eleganten, gebildeten und betont kühlen Endvierzigerin wie in eine Schatulle gebettet lag, praktisch ungenutzt. Eine Schönheit, die Lukastik in jeder Hinsicht stets perfekt erschienen war, gerade darum, weil er seine Schwester niemals für einen guten Menschen gehalten hatte. Die Schönheit guter Menschen war nicht wirklich auszuhalten. Hatte etwas von der Haut, die sich auf warmer Milch bildet. Solche Menschen, wenn sie Frauen waren, erinnerten alle ein wenig an die frühe Ingrid Bergman, die Bergman von Casablanca und die von Notorious . Unerträglich, wenn man genau hinschaut: Ein guter Mensch erstrahlt, haucht, zärtelt, gibt sich migränoid, gibt sich unergründbar, etwas jenseitig, und treibt gleich besagter Milchhaut durch die Szenerie.
    Lukastiks Schwester hatte nie mit einem migränoiden Flair geliebäugelt. Ihre Schönheit war eine pure, direkte, von jeglicher Verpflichtung freie.
    Lukastik dachte einen Moment an ihren Körper, den er einst hatte berühren dürfen. Eine Berührung, die ihm nun nicht nur als das großartigste Ereignis seines Lebens erschien, sondern auch als das sinnvollste. Alles andere fiel beträchtlich davon ab, wie erlahmte Jagdhunde hinter einen begnadeten Fuchs oder Hasen. Dieser begnadete Hase war in Lukastiks Leben ein Solitär geblieben, und das war im Prinzip auch gut so. Ein Leben voll von begnadeten Hasen ist undenkbar. Zudem auch nicht wünschenswert. Ein wenig mehr solcher Hasen hätten es freilich dennoch sein dürfen.
    »Herr im Himmel«, stammelte Lukastik in sein Mundstück hinein, so daß seine Atmung für einen Moment durcheinandergeriet. Er spürte in seinem Rücken einen Zug, einen Schmerz, einen Hai  …
    Es war

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