Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Haarspangen waren keine zu sehen, obwohl sie natürlich existieren mußten. Mußten sie denn wirklich? Vergleichsweise war es doch auch möglich, ohne den Einsatz von Klebestreifen einen Gegenstand in Geschenkpapier zu wickeln. Einwandfrei und felsenfest. Eine intelligente Technik vorausgesetzt.
Lukastik zwang sich, seinen Blick von den Haaren zu nehmen und ihn auf das kleine Hörgerät zu richten, das die Frau von der Spurensicherung neben dem halben Haifischzahn abgestellt hatte.
Man befand sich in einem angenehm temperierten, hohen Raum, der einst dem österreichischen Bundesheer als Garage und Werkstätte gedient hatte. Die weite Halle war renoviert und in mehrere Abschnitte unterteilt worden. Allerdings war es bei der Zuordnung der künftigen Funktion zu einigen bürokratischen Wirrnissen gekommen. Denn nicht nur die Wiener Kriminalpolizei hatte im Zuge einer Neustrukturierung für einige ihrer Einheiten ein längerfristiges Ausweichquartier beantragt, sondern auch die Museumsleitung der österreichischen Galerie war vorstellig geworden, da man Räumlichkeiten zur Lagerung und Restauration vor allem großformatiger Gemälde benötigte. Und irgendwie hatte es sich nun ergeben, daß jene »entmilitarisierte« Zone von diversen zuständigen Beamten auch diversen Zwecken zugedacht worden war. Selbst während der einschneidenden Renovierungsarbeiten war niemandem aufgefallen, wie sehr sich die verschiedenen Anforderungen voneinander abhoben. Es war zu einer Verschmelzung der zweigleisigen Planungen gekommen, gewissermaßen auch zu einer Verschmelzung der beiden beauftragten Baufirmen. Jedenfalls war man erst nach Fertigstellung der Räume, als bereits der Einzug der Polizisten wie der Restauratoren anstand, auf die unglückselige Verquickung aufmerksam geworden.
Derartiges geschieht und ist nicht immer Ausdruck von Dummheit oder Schlamperei. In manchen Dingen steckt der Wurm, wie er eben auch in der Erde, im Holz und in so manchem guten Apfel steckt. Der Wurm gehört dazu. Der Schaden, den er anrichtet, hat eine offenkundige oder auch tiefere Bedeutung.
Freilich wird nicht jeder Schaden sofort als sinnstiftend oder notwendig erkannt. Die Wiener Polizei und die Österreichische Galerie, zwei Institutionen von ausgezeichnetem Ruf, beanspruchten mit gutem Recht die Räumlichkeiten für sich. Daß dabei der alte Antagonismus zwischen den Notwendigkeiten des Alltags und der langfristigen Bewahrung kultureller Werte ins Spiel kam, versteht sich. Andererseits ist es völlig unmöglich, die Aufklärung eines Verbrechens gegen den Erhalt etwa eines Bildes von Gustav Klimt zu stellen. Natürlich würde jeder vernünftige Mensch die Ergreifung eines Mörders der Rettung eines durch falsche Lagerung bedrohten Klimt-Bildes vorziehen. So wie man ja wohl auch bereit wäre, sämtliche Opern Mozarts aus der Geschichte zu streichen, könnte man damit zwei Weltkriege ungeschehen machen. Doch was wäre eine Menschheit, erst recht eine wienerische Menschheit denn wert ohne Mozart und Klimt? Man kann einen leeren Brotkorb vielleicht essen, aber kann man ihn auch verdauen?
Es war also in keiner Weise legitim, wenn die Wiener Polizei auf den augenfälligen Vorrang ihrer Arbeit verwies, wie ein Fleischhacker, der seinen Ernährungsauftrag betont, um die Stellung des benachbarten Buchhändlers zu unterwandern. Andererseits durfte wegen eines Klimt-Bildes die Qualität polizeilicher Ermittlungstätigkeit nicht beeinträchtigt werden. Der Bürgermeister persönlich nahm die Sache in die Hand und zwang die Beteiligten, einen Kompromiß einzugehen und eine Koexistenz zu begründen, wie sie wohl einmalig in der Welt dasteht. Von den Räumen gingen vier an die Kriminalpolizei und vier an das Museum, während im neunten und letzten eine Kantine eingerichtet wurde, in der Polizisten und Restauratoren zusammenfanden. Oder zumindest hätten zusammenfinden sollen. Denn man blieb distanziert und vermied jene Symbiose, die das Gebäude suggerierte. Man hatte sich arrangiert, nicht mehr. Und der Bürgermeister besaß nun mal nicht die Zeit und Nerven, sich noch weiter um die Annäherung von Kultur und Kriminalistik zu kümmern.
Und doch war es zu vereinzelten, wenn auch nicht kameradschaftlich motivierten Überschneidungen gekommen. Jede der Gruppen kämpfte naturgemäß mit einem Platzproblem. Vor allem standen in den vier Museumsräumen viel zu viele Bilder und Skulpturen herum, weshalb die Polizeibeamten mit der Förmlichkeit einer offiziellen
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