Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Begeisterung nun vollends ausgebrochen war und in jedem Ton mitschwang. »In all diesen Gewässern ist er heimisch. Nicht zuletzt im Ganges. Was zu einem weiteren Mißverständnis geführt hat, wegen des extrem seltenen Gangeshais, der einzigen weiteren Art, die gleichfalls in Süßwasserbereichen beheimatet ist. Es hat Unfälle gegeben, Leute wurden getötet, aber auch bereits Tote, sozusagen Beigesetzte, die auf dem Ganges dahintrieben, verschwanden. Was aber nicht, wie lange Zeit angenommen, auf das Konto des Gangeshais ging. So ein großes Konto besitzt allein unser Carcharhinus leucas. Wobei ich finde, daß ein derart breiter Speisezettel nicht gegen , sondern für dieses Tier spricht. Wenn es etwa heißt, er würde alles fressen, was ihm zwischen die Zähne kommt, stimmt das nicht. Vielmehr frißt er alles, was ihm schmeckt. Das ist ein Unterschied, ein kultureller, wenn Sie so wollen. Alles fressen, was man zwischen die Zähne bekommt, das tun die Leute, die unter mir wohnen und deren Geräusche beim Zerbeißen von Kartoffelchips durch meinen Fußboden dringt. Es hört sich an, als würden diese Menschen sich von Knochen ernähren.«
»Sie übertreiben«, gab Lukastik ein seltenes Schmunzeln zum besten.
Slatin blieb ungerührt und sagte: »Wenn Sie zum Essen bleiben, können Sie sich davon überzeugen.« Und gleich darauf: »Sie wollten wissen, von welcher Art Fisch dieser Mann getötet wurde. Bloß auf Grund eines halben Zahns hätte ich es nicht sicher sagen können. Und auch die Bißspuren lassen eine eindeutige Bestimmung nicht wirklich zu, da sie von einem Weißen Hai wie von einem Swan River Whaler stammen können. Aber die Farbe und Art der Hautzähnchen schließt einen Weißhai aus. Wenn also morgen ein Journalist schreibt, ein Bürger der Stadt Wien sei einem Großen Weißen zum Opfer gefallen, dann lügt er oder hat eben keine Ahnung. Sie können natürlich noch eine chemische Analyse vornehmen lassen, aber wenn alles zusammengehört, die einzelnen Fragmente wie die Verletzungen an der Leiche, dann können Sie gewiß sein, daß es sich um einen Swan River Whaler handelt. Ich kann Ihnen auch gleich verraten, daß Exemplare dieser Art in unserer schönen blauen Donau nicht vorkommen. Einfach zu kalt, versteht sich. Wobei, trübes Wasser mag er.«
»Ich darf doch davon ausgehen«, versicherte sich Lukastik, »daß in keinem der heimischen Aquarien ein solcher Fisch beherbergt wird.«
»Natürlich nicht. Der Swan River Whaler ist alles andere als ein geeigneter Aquariumsfisch. Übrigens weisen die männlichen Exemplare den höchsten Testosterongehalt sämtlicher Lebewesen auf. Wozu auch immer das gut sein soll.«
»Sie wissen es nicht?«
»Es gibt keinen einleuchtenden Grund, über mehr Testosteron im Körper zu verfügen als ein ausgewachsener Elefantenbulle. Es ist ja auch nicht einsichtig, warum Leute mit zwei Beinen, zwei Händen und einem Hirn drei Autos in der Garage stehen haben. Überfluß in der Natur ist wie Überfluß in den Kulturen: rätselhaft, ein wenig burlesk und – wie man so sagt – Ausdruck einer Laune.«
»Können Sie ausschließen«, fragte Lukastik, »daß jemand versucht, uns an der Nase herumzuführen, indem er diese Leiche präpariert und die Verletzungen maschinell zugefügt hat?«
»Ich müßte mir das Opfer im Original ansehen, um eine definitive Antwort geben zu können. Aber ich denke, es war ein wirklicher Hai im Spiel. Ein Hai, den man gewähren ließ. Ich gehöre übrigens nicht zu den Leuten, die meinen, allein Menschen würden am Töten ihren Spaß haben. Es gibt eine Wahrheit, denke ich, die zwischen Steven Spielberg und der gängigen Verniedlichung der Tierwelt angesiedelt ist. Einer Verniedlichung, die auch dadurch entsteht, daß wir sämtliche Tiere auf ihren Erhaltungstrieb herunterstufen. Gerade, indem wir ihnen alles Bestialische absprechen, degradieren wir sie zu Automaten Gottes. Ich glaube jedoch, um so intelligenter eine Kreatur ist, um so eher beginnt sie, ein Gefühl der Langeweile zu entwickeln. Ich halte jede Tötung und jeden Krieg für eine Reaktion auf diese Langeweile. Man tötet nicht den anderen, sondern tötet die Zeit, die nicht vergehen will. Und ich halte gerade Swan River Whalers für ziemlich intelligent.«
Es war mehr ein verbales Ausrutschen, als Lukastik die Bemerkung machte, davon gehört zu haben, Slatin hätte unter seinen Kollegen in der Meeresbiologie mehr Feinde als Freunde.
»Es gibt keine Kollegen. Und es gibt niemand,
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