Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Anfrage ersucht worden waren, einige der Kunstwerke in den ihnen zustehenden Zimmern unterzubringen. Dabei muß bedacht werden, daß es sich um nicht ganz unbedeutende Arbeiten handelte, zumindest um Arbeiten nicht ganz unbedeutender Künstler. Dennoch hatten sich die Kriminalbeamten wenig begeistert gezeigt. Man fürchtete eine Überflutung, von der Überreizung einmal abgesehen, und lehnte ab. Lukastik jedoch machte eine Ausnahme und erklärte sich bereit, eines jener Gemälde, die da den Weg versperrten, zu übernehmen. Er gab durchaus zu, daß ihm die Repräsentanz eines monumentalen Bildes recht attraktiv erscheine.
Offenkundig entsprach es nicht der Vorstellung der Museumsleute, das Geltungsbedürfnis eines einzelnen Polizisten zu befriedigen. Man ignorierte Lukastiks Bereitschaft. Monatelang. Eines Tages aber erschienen ohne jede Ankündigung vier Arbeiter und zogen ein etwa zwei Meter breites und drei Meter hohes Bild herein, das in einem mit Blattwülsten und stilisierten Rosenknospen ausgestatteten, zwei Kinderhände breiten Goldrahmen eingefügt war. Wie gesagt, die Türen, Wände und Gänge auch der Kriminalabteilung waren so konstruiert, daß man ein derartiges Monstrum von Bild problemlos transportieren und im Raum anbringen konnte. Gefragt wurde Lukastik nicht, ob ihm dieses ursprünglich als Altarbild fungierende Gemälde auch gefalle. Immerhin handelte es sich um eine Arbeit des Paul Troger und damit eines der wichtigsten Vertreter des österreichischen Spätbarock, und es war wirklich nicht an Lukastik, irgend etwas bemängeln zu wollen. Tat er auch nicht. Er war der spätbarocken Malerei durchaus freundlich zugetan und hatte kein Problem damit, daß auf dem Bild die Steinigung des heiligen Stephanus dargestellt war. Lukastik erkannte allein das Erbauliche delikater Figuration und dramatisch-düsterer Farbgebung. Und erkannte den Vorteil, den es bedeutete, vor dem Hintergrund eines solchen Bildes einen höheren Grad an Wirkung zu erlangen. Umgeben von der Aura des Kunstwerks produzierte er selbst einen auratischen Kreis, den er ansonsten nicht besaß. Freilich war er davon ausgegangen, das Bild würde nur kurz in seinem Büro untergebracht werden, erhalte hier eine Art von Zwischenlagerung. Doch das Intermezzo dauerte bereits zweieinhalb Jahre an, und daß Lukastik einmal nicht mehr unter und vor diesem Bild sitzen könnte, war eigentlich kaum vorstellbar. Das Gemälde und der Chefinspektor schienen zusammenzugehören. Füreinander geschaffen.
Das fand übrigens auch Peter Jordan, der angesichts jener Symbiose, die Lukastik und die Heiligenfigur in einem optischen und sphärischen Sinn eingingen, von einer »christlichen Vermählung« sprach. Daß er dies tat, und es auch sicher nicht freundlich meinte, wurde von einigen seiner Kollegen als typischer Reflex des »Juden Jordan« gewertet. Wobei Jordan so gut wie nie im Bewußtsein seiner jüdischen Abstammung lebte, selbige eher wie einen verlorenen Socken empfand. Verliert man den einen, wird auch der andere sinnlos, landet in einem Haufen anderer »entzweiter« Socken. Solche Haufen entstehen beileibe nicht in der Hoffnung, einer dieser verschwundenen Socken würde je wieder auftauchen. Das tun sie nicht. Und daß sie es nicht tun, gehört zum Kanon allgemeiner Weisheit.
Peter Jordan war nun keinesfalls jemand, der seinen Hintergrund verdrängte. Ein Verdränger hätte den Haufen alter, einzelner Socken beseitigt. Nicht so Jordan. Allerdings gehörte er ebensowenig zu jenen, die im ständigen Bewußtsein dieses Haufens oder erst recht der verlorengegangenen Socken lebten. Wenn der Antisemitismus zur Sprache kam, der in dieser Stadt wie ein schöner, robuster Brombeerstrauch gedieh, so war das zwar auch für Jordan ein Thema, aber es war nicht sein Thema. Er war kein Betroffener. Er war es wirklich nicht.
Um so mehr hielt er die eigene Position für sachlich. Den Gedanken, wie passend es sei, daß der »Christ« Lukastik es sich ausgerechnet unter der Darstellung des Heiligen Stephanus eingerichtet habe, also des ersten christlichen Märtyrers. Daß dieser Märtyrer im Streit um die Fortgeltung des jüdischen Gesetzes seinen Heldentod erlitten hatte, daß er von Diasporajuden gelyncht worden war, das wußte Jordan. Freilich konnte er nicht ahnen, wie gering diesbezüglich Lukastiks Bildung war. Wie gesagt, Lukastik schätzte eher den ästhetischen Gehalt solcher Kunst. Im übrigen war er so wenig ein Christ wie Jordan ein Jude. Sie waren
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