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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Mitternacht, als Lukastik wenige Kilometer vor Zwettl auf eine Nebenstraße bog. Ihm kam vor, als dringe er tiefer in das Land ein, gewissermaßen tiefer in den Kosmos, der ja – man vergißt das gerne angesichts beulenartig komprimierter Sternhaufen – primär aus Leere besteht. Einer Leere, die sich vor Ort mittels weit auseinander liegender Straßenlaternen und einer beträchtlichen Schwärze dazwischen manifestierte.
    Natürlich fand es Lukastik höchst erstaunlich, daß eine Tankstelle auf einer solchen, alles andere als bedeutenden Nebenstrecke zu finden war. Man lebte ja nicht gerade in einer Phase übermäßiger Regionalisierung. Die eigentliche Überraschung ergab sich jedoch erst, als nach einigen Minuten, am Rande eines Waldstücks, der illuminierte Gebäudekomplex von Rolands Teich aus dem Dunkel herausstach. Eher hatte Lukastik ein vergammeltes kleines Wirtshaus mit ein paar nicht minder vergammelten Zapfstellen erwartet, statt dessen bot sich ihm das Bild eines modernen, ja futuristischen Gebäudes, dessen langer, schmaler Baukörper sich zur Hauptsache an die Form der Straße anlehnte, welche an dieser Stelle eine sich sanft dahinziehende Kurve bildete. Beinahe die gesamte, an die vierzig Meter messende Vorderfont bestand aus einer gläsernen, hellgrün schimmernden Fassade. Erst gegen die entfernte Flanke hin ergab sich ein Übergang von Glas zu Holz. Und mit diesem Materialwechsel verabschiedete sich das Gebäude gewissermaßen von der Straße, knickte weg in Richtung Hinterland und drang in den Wald ein, wobei die Holzverkleidung ihres silbergrauen Anstrichs wegen auch für Beton hätte gehalten werden können.
    Aus dem geschwungenen Flachdach des zentralen Baus wuchs ein transparentes Vordach heraus, welches denselben grünlichen Farbton besaß und auf noch deutlichere Weise die Geometrie der vorbeiziehenden Straße zitierte. So kam es auch, daß Lukastik in den Bereich der in einer Linie aufgestellten Zapfsäulen einfuhr, ohne daß ihm bewußt geworden war, so die eigentliche Straße verlassen zu haben. Beinahe schien es ihm, als führe die einspurige Fahrbahn rechts und links an den Tanksäulen vorbei, so daß sich also an dieser Stelle ausnahmsweise ein Mittelstreifen ergeben hätte. Selbstverständlich war dies unmöglich. Eine solche Verschmelzung, eine solche Einheit von Straße und Tankstelle hätte jeglicher Verkehrsordnung widersprochen, die natürlich auch in der Gegend des Waldviertels ihre Gültigkeit besaß.
    Lukastik parkte seinen Wagen an einem markierten Platz, stieg aus und blieb eine Weile betrachtend stehen. Während das Gebäude von hohen Tannen umgeben war, öffnete sich jenseits der Straße die Landschaft zu einer weiten Wiesenfläche, die im Mondschein eine fußballplatzartige Ebenheit besaß. Aus dieser Richtung drang kaum ein Laut an Lukastiks Ohr. Hinter ihm jedoch, vom Wald her, war das schleifende Geräusch eines leichtes Windes zu vernehmen, vermengt mit der Musik, die durch die offene Eingangstür nach außen drang. Musik aus den siebziger Jahren. Es klang, als drehe sich eine Zeitmaschine im Kreis.
    Über dem Eingang, in Neonröhren aus lichtem Violett gepackt, stand in ondulierten Schriftzügen: Rolands Teich . Der ganze Gebäudekomplex war ein wenig erhöht und ruhte auf kniehohen Sockeln, wodurch sich ein schwebender Eindruck ergab, aber auch die Schwerfälligkeit von etwas, das nicht richtig von der Erde loskommt. Über drei breite Stufen trat Lukastik in das Innere. Die Theke, die den Kassenbereich bildete, war unbesetzt, ebenso der angrenzende, sehr ordentlich bestückte Supermarkt, der mittels zweier Drehkreuze zu betreten war.
    An diesem Bereich vorbei ging Lukastik auf die Musik zu und gelangte – ohne etwa durch eine Tür gegangen zu sein – in einen Abschnitt, der ein schönes Beispiel für zerstörtes oder zumindest »schwerverletztes« Design darstellte. Der Bartresen wiederholte mit seiner leicht gebogenen und auf einer Seite in ein Häkchen mündenden Form die Gestalt des Gebäudes. Etwa wie ein klopfendes Herz, das den Brustkorb nachbildet, hinter dem es schlägt. Die Barhocker aus Stahl und hellgrünem Leder, die drei, vier ovalen Tische, deren dünne, hellgraue, mit roten Noppen besetzte Platten an den Rändern leicht nach oben gewölbt waren, weiters die quadratischen, wandseitig beleuchteten, milchig weißen Scheiben, die den Hintergrund der Bar bildeten und einen jeden Besucher in ein utopisches Licht versetzten, dies alles und vor allem

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