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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auch wenn er weit entfernt war, das elitäre Bewußtsein seiner Mutter verinnerlicht zu haben, hing er dennoch an dem Gedanken, eine besondere Stellung in der Welt einzunehmen. Verdammt oder auserwählt zu sein, nicht gerade wie ein Heiliger, auch nicht wie ein Genie, dem grandiose Ideen während des Schlafs ins Hirn sickerten, aber doch wie ein rohes Ei inmitten hartgekochter. Jedenfalls erschien ihm dieser Zweisitzer, den er ja der speziellen Lackierung wegen erstanden hatte, als das richtige Kleidungsstück zu seiner Person und seinem Wesen. Ohne sich deshalb lächerlich zu machen, wie das etwa der Fall gewesen wäre, hätte er auch noch einen Anzug von gleicher Farbe getragen. Den Zweireiher zum Zweisitzer.
    Er öffnete die Tür, setzte sich hinter das mit einem perforierten Lederschlauch umhüllte Lenkrad und startete den Motor, der mit dem Geräusch einer in Betrieb gesetzten Waschmaschine zu sich kam. Dann schob er eine CD ins Laufwerk. Klavierstücke von Josef Matthias Hauer. Töne gleich einem übersichtlichen Feld von Sternen. In jedem Fall überaus passend, um die Nachtfahrt von Wien nach Zwettl in einen klanglichen Rahmen zu stellen.
    Lukastik fuhr los. Und auch wenn er weder religiös war noch religiöse Handlungen routineartig vollzog, so steckte in diesem Losfahren etwas von der Geste jener Sportler, die am Start stehend sich zu bekreuzigen pflegen. Es lag ein Amen in diesem Losfahren.

Dann Zwettl
    8       Ein langsames Auto ist so ein Ford Mustang natürlich nicht. Und obzwar Richard Lukastik nicht zur Raserei neigte, so wenig wie zu riskanten Überholmanövern, und in der Regel auch darauf verzichtete, eine Geschwindigkeitsüberschreitung dienstlich zu rechtfertigen, konnte er der Kraft seines Wagens nicht völlig entsagen. Das war wie mit den Lackstiefeln, welche quasi eine Rasanz der Gefühle hervorriefen und schlichtweg ungeeignet waren, an bestimmten gravitätischen Orten wie Kirchen oder Rathäusern getragen zu werden. Eine Autostraße jedoch, sobald sie nicht mehr durch eine Ansiedlung führte, also vorbei an Kirchen und Rathäusern, war keinesfalls ein solcher gravitätischer Ort, weshalb es sich geradezu gehörte, auf freier Strecke ein gehobenes Tempo anzustreben. Vor allem in der Nacht, wenn die Welt deutlicher als am Tage mit den kosmischen Weiten verbunden war, also mit einem Raum, der von hohen Geschwindigkeiten dominiert wurde. Autos in der Dunkelheit, die sich auf den Überholspuren von Autobahnen und den ortsfernen Abschnitten der Landstraßen bewegten, besaßen den Status leuchtender Kometen. Eine schleppende Fahrweise wäre dann völlig unangebracht gewesen. Kometen bremsten nicht. Maximal wurden sie gebremst.
    Ein solcher mattgoldener Ford Mustang (genauer gesagt – für die, die das unbedingt wissen möchten – ein LX Hatchback aus dem Jahre 1987), ein solcher Mustang also stellte nun selbstverständlich ein Musterexemplar dar, wenn es um die Wirkung eines Autos als bodennaher Himmelskörper ging. Die kometenartige Wirkung ergab sich freilich nur im Zuge einer gleichsam »fliegenden« Fahrweise, wie um jene in Folge der Verdampfung entstehende Gashülle zu schaffen, die das Licht des Kometen und seinen schönen Schweif hervorruft. Schnell zu fahren war für Lukastik also auch eine ästhetische Frage. Erst recht, wenn die Straßen – wie in dieser Nacht und auf dieser Strecke – eher spärlich frequentiert waren. Ein etwaiges Dahinschleichen hätte er für kleinmütig gehalten. Beschleunigung galt ihm als Gebot der Stunde. Auch auf die Gefahr hin, ein die Straße querendes Wild anzufahren. Kollisionen waren Teil des Unweigerlichen in der Natur, eben auch in der Natur des Menschen. Sie ergaben sich aus einer jeden Bewegung, selbst der geringen.
    Strategien des Ausweichens empfand Lukastik als Illusion. Manchmal war es ja gerade das hohe Tempo, das eine Person rechtzeitig vom Ort der Katastrophe wegführte. Jedenfalls glaubte er nicht, seinem Schicksal zu entkommen, indem er statt hundertsechzig nur hundertzwanzig fuhr.
    Wie gesagt, er raste nicht, sondern fuhr mit gesteigerter Geschwindigkeit, ausschließlich an übersichtlichen Stellen überholend, dem Waldviertel entgegen. Innerhalb der Ortschaften hielt er sich an die Begrenzungen, so wie er sie außerhalb ignorierte. Seine Schwester hatte dieses Prinzip einmal als »moralischen Selbstbetrug« bezeichnet, ein Urteil, das sie in den meisten Punkten fällte, die ihren Bruder betrafen.
    Es war eine dreiviertel Stunde nach

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