Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
diverse gefinkelte Details verwiesen auf den hohen architektonischen Anspruch, der hier vorherrschte. Beziehungsweise ursprünglich vorgeherrscht hatte. Denn auch wenn es so schien, als sei im wesentlichen nichts verändert worden, so waren dennoch eine Menge neuer Gegenstände angebracht oder aufgestellt worden, die weniger als Kontrapunkt wirkten, sondern vielmehr als Krankheit, welche einen ehemals gesunden Körper nach und nach in Besitz genommen hatte.
So konnte man es sehen. Genauso legitim war es freilich, zu meinen, daß etwa die Gestecke aus getrockneten Blumen diesen Raum überhaupt erst erträglich machten. Und welch Glück es war, daß die trostlos modernistische Bar von einigen ausgefallenen Bierkrügen aufgelockert wurde. So wie es als ein nicht geringeres Glück empfunden werden konnte, daß dieser Gästeraum über eine Dartscheibe, einen Spielautomaten und mehrere Veranstaltungsplakate verfügte, sowie – als Höhepunkt des Geschmacklosen, aber eben auch des Heimeligen – über ein künstliches Kaminfeuer. Zwischen den Scheiten aus Plastik erzeugten Ketten von roten Lämpchen eine fiktive Glut, die mitten im Hochsommer eine Wärme erzeugte, die allein das Gemüt berührte, ohne den Schweiß anzutreiben.
Der eigentliche Kamin hingegen mutete echt an, sah aber nicht aus, als sei er je, auch im härtesten Winter nicht, in Betrieb gesetzt worden. Auf dem Sims stand passenderweise eine kleine, von innen her beleuchtete Muttergottes. Ihre Gesichtszüge erinnerten in frappanter Weise an jene populäre Sängerin, welche ebenfalls unter dem Namen »Madonna« berühmt geworden war. Dieser Umstand führte jedoch nicht zu einer Anzüglichkeit der Figur. Darum nicht, weil sie im Einklang mit herkömmlichen Darstellungen über einen faltenreichen Umhang verfügte. Das Christuskind allerdings hielt sie nicht im Arm. Selbiges hing – gleichsam erwachsen geworden – als Gekreuzigter in einer Ecke des Raums, und zwar aus dunklem Holz geschnitzt, unbeleuchtet, beinahe gesichtslos, antiquarisch, aber unbeugsam.
In derselben Ecke, auf eine hüfthohe Säule gestellt, befand sich ein Aquarium, gefüllt mit echtem Wasser. Auch der Sand am Boden und die blaßgrünen Pflanzen, die im feinen Wirbel aufsteigender Luftblasen hin und her wogten, schienen natürlichen Ursprungs. Den authentischsten Anschein überhaupt erweckten die beiden Fische, faustgroß, dunkelrot bis grau, silbrig glänzend, mit Augen wie Töpferscheiben und ausufernden Schwanzflossen. Perfekte Fische, perfekt in ihrer Bewegung, wenn etwa das Perfekte einer Bewegung darin besteht, nicht mit dem Maul gegen eine Scheibe zu prallen.
»Die kommen aus Japan«, meldete sich die Frau, die hinter der Bar stand.
Lukastik war beeindruckt. Gar nicht so sehr von den Fischen, zu denen er sich im Anschluß an einen knappen Gruß gebeugt hatte, wie sich ja die meisten Leute zunächst einmal den Haustieren zuwenden, als wollten sie die Bedeutung ihrer Mitmenschen schmälern. Tatsächlich besaßen die drei Männer, die an der Theke hockten und sich bei Lukastiks Erscheinen halb umgewandt hatten, nicht gerade jene Ausstrahlung, die nötig war, zwei elegante Fische in den Schatten zu stellen.
Was nicht für die Frau galt. Sie besaß eine ganze Menge Ausstrahlung. Sie besaß mehr davon, als man eigentlich im ersten Moment aushalten konnte. Dabei ergab sich das Wuchtige ihrer Präsenz keineswegs allein aus ihrer beträchtlichen Körperfülle. Denn auch dicke Menschen verlieren sich häufig im Raum und sind dann nichts anderes als ein dünner Streifen im Gedächtnis ihrer Umwelt. Im konkreten Fall aber bedeutete der massige Leib im wahrsten Sinn des Wortes einen Ausdruck der Persönlichkeit, eine ziemlich optimale Füllung jener Sphäre, die jedem Menschen theoretisch zur Verfügung steht, aber nur von den wenigsten zur Gänze genutzt wird.
Die Frau trug eine weiße Cowboyjacke mit Fransen an den Armen, am Rücken und auf der Vorderseite. Kleine metallene Verzierungen schmückten das Ding und bildeten zudem den Abschluß der Kragenspitzen, wie um diese Kragenspitzen wovor auch immer zu schützen. Unter der Jacke spannte sich eine hellrosafarbene Seidenbluse, welche die Frau bis zur Mitte ihrer Brust geöffnet hatte. Ihre blonden Locken schienen so robust, als würden noch immer die Wickler unsichtbar darin stecken. Daß es sich um ihre natürliche Haarfarbe handelte, war eigentlich kaum vorstellbar, obgleich ihre Augenbrauenfarbe nur unwesentlich vom Haupthaar abwich.
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