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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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würde, aus diesem eigentümlichen Tag entlassen zu werden. Es gab keine »reinen« Entscheidungen. So viel war ihm bewußt. Daran konnte seine ganze Begeisterung für Wittgenstein und Hauer nichts ändern.
    Er winkte der Kellnerin und bezahlte. Gerade, als er sich von seinem Platz erhob, schob die Frau von gegenüber ihren Kinderwagen an ihm vorbei in Richtung Ausgang. In einem beinah schon unsittlich kurzen Abstand, wie um seine Abneigung vollends auszukosten, bewegte sich Lukastik hinter ihr aus dem Lokal hinaus. Dabei bemerkte er, daß sie ein wenig hinkte, als sei ein Bein eine Spur kürzer als das andere. Es handelte sich um eine minimale Unregelmäßigkeit, die aber zu einiger Bedeutung anwuchs, wenn man sich nur genügend darauf konzentrierte. Was Lukastik nun auch tat, jedoch alles andere als zufrieden damit war. Eine Behinderung störte. Störte die Aversion, die Lukastik gegen diese Person hegte. Ein Gebrechen, so gering es sein mochte, erzwang ein Gefühl der Rührung. Und das konnte er nun wirklich nicht brauchen.
    Als Lukastik aus dem Sittl herausgetreten war, blieb er stehen und sah hinüber zum hoch aufragenden Bau der ehemaligen Stadtbahnstation, in die nun die Züge einer Untergrundbahn ein- und ausfuhren, gleich fliegenden Fischen, wenn man das Widersprüchliche einer über Brücken geführten U-Bahn bedachte.
    Einmal noch sah Lukastik nach der Frau, wie diese sich und den Kinderwagen den Lerchenfelder Gürtel hinunterbewegte, entlang einer breiten Straße, die zwischen den Häuserzeilen und dem historischen Bahndamm canyonartig anmutete und auf der die Autos von Ampel zu Ampel sich in Kurzstreckenrennen verwickelten, die halb verbissen, halb spaßig geführt wurden. Im Licht der Straßenlaternen verschwamm der kleine Makel der Frau zur Unkenntlichkeit.
    Lukastik drehte sich endlich um, bog um die Ecke und marschierte eine Seitenstraße hinauf zu seinem Wagen, dessen mattgold lackierte Karosserie wie eine glatte, feuchte Frucht aus seiner Umgebung herausstach.
    Über die Farbe konnte man streiten, aber über Farben kann man natürlich immer streiten. Jedenfalls war der Anschaffung dieses Wagens eine Phase intensiver Überlegungen vorausgegangen, da Lukastik sich der Bedeutung eines Autos als Kleidungsstück bewußt gewesen war. Eines Kleidungsstücks, das sich eignete, eine Identität zu stiften, zu verstärken oder zu karikieren.
    Es gab natürlich eine Menge Autos, die nichts von alldem bewirkten, die ihren Besitzern wie schlappe Säcke am Körper hingen und ein Nichts an Identität in ein Garnichts an Identität herabsenkten.
    Lukastik hatte sich für einen Ford Mustang entschieden, und so wie man sich über Farben streiten kann, konnte man natürlich auch der Meinung sein, daß ein solches Auto durchaus in Richtung einer Chefinspektor-Karikatur führte. Immerhin hatte Lukastik diesen Wagen nicht von einem Zuhälter erstanden, überhaupt von keinem Ganoven, sondern aus dem Nachlaß einer geplanten künstlerischen Aktion, bei der in zehn verschiedenen Städten der Welt zur gleichen Zeit zehn identische goldfarbene Ford Mustangs in die Luft hätten gesprengt werden sollen. Dann aber war der 11. September dazwischengekommen und eine Pietät um die Welt gegangen, die sich naturgemäß im Symbolischen erschöpft hatte. Und weil nun die Kunst an sich, erst recht zehn mattgoldene Wagen amerikanischer Provenienz an symbolischem Gehalt kaum noch zu übertreffen sind, war die Kunstaktion auf später verschoben und schließlich, nachdem die Pietät sich einfach nicht hatte legen wollen, ersatzlos gestrichen worden. Woraus sich ergeben hatte, daß mit einem Mal zehn goldlackierte Mustangs, die der Vernichtung durch Kunst entgangen waren, neue Besitzer suchten. In Hongkong, Tokio, Buenos Aires und anderswo. Anstatt wie üblich den Kunstcharakter dieser Objekte herauszustellen, vertuschte man ihn und veräußerte die Wagen über den üblichen Gebrauchtwagenhandel. Auch Lukastik erfuhr erst nachträglich, daß sein Ford Mustang eigentlich hätte gesprengt werden sollen. Nachdem ihm dieser Umstand bewußt geworden war, verspürte er zwei, drei Wochen ein leises Unbehagen hinter seinem Steuer, als hocke er auf dem Geist einer Bombe. Bald aber schüttelte er den Gedanken an die Zusammenhänge ab und fühlte sich wieder durchaus wohl in den rötlichbraunen Lederbezügen. Die Gewißheit, eins von nur zehn gleichgearteten Modellen zu besitzen und mit Sicherheit der einzige in Wien zu sein, gefiel Lukastik. Denn

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