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Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sodann hatte sie mit einem getränkten Tuch den ohnedies ohnmächtigen Jordan und anschließend sich selbst betäuben müssen.
    »Verblüffend«, sagte Lukastik, »was manche Menschen so alles in ihren Badezimmerschränken aufbewahren.«
    »Es ist wie ein tiefes, schmerzendes Nasenbohren«, paraphrasierte Boehm den Umstand ihrer Selbstbetäubung, aus welcher sie erst wieder erwacht war, nachdem sie und Jordan – bereits gefesselt und mit verklebtem Mund – sich in diesem Raum wiedergefunden hatten.
    »Sternbach war auch da«, erzählte Jordan, »hat aber kein Wort gesagt, sondern ist mit seiner Taschenlampe in der Hand auf der anderen Seite gesessen, dort drüben, und hat Musik gehört. Das muß man sich mal vorstellen.«
    Lukastik sah in die Richtung, in die sein Assistent gewiesen hatte, und erblickte nun den kleinen, einfachen Tisch, dessen Beine schwarz von Schimmel waren. Auf der hölzernen, brüchigen Platte stand einer von diesen flachen Kassettenrekordern aus den Siebzigern, die fast immer wie achtlos hingeworfene Folianten aussahen und deren Tasten breit und robust genug waren, um sie auch mit einem Hammer zu bedienen. Damals, in den Siebzigern, hatte man Geräte für die Zukunft gebaut, wie in dem Glauben, auch in einer Welt von morgen wären Kassetten unverzichtbar.
    Nun, vom Standpunkt dieses Artefakts, das hier auf dem Tisch lag, befand man sich tatsächlich in einer bereits ziemlich fortgeschrittenen Zukunft.
    »Was für Musik?« fragte Lukastik.
    »Ist ja wohl Ihre Sache, das zu beantworten«, meinte Jordan patzig, in Anspielung auf Lukastiks musikwissenschaftlichen Hintergrund. »Die Kassette steckt noch drin, wenn ich nicht irre.«
    Lukastik ging hinüber zu dem batterienbetriebenen Gerät. Da das Band der Kassette zu Ende gespielt war, spulte er es zurück in den Bereich des mittleren Drittels und drückte die Wiedergabetaste.
    Seine Überraschung war beträchtlich. Gerade darum, weil er im Prinzip zu hören bekam, was er erwartet hatte, nämlich Bachs Partita E-Dur für Violine. Im Prinzip.
    Er bewegte nun das Band ganz an den Anfang zurück, drückte erneut die Play-Taste und bekam durchaus im Einklang mit der Bachschen Komposition das Präludium zur Partita zu hören. Und zwar so, wie Bach es geschrieben hatte. Und nicht in jener zerstückelt anmutenden Adaption des amerikanischen Komponisten Lukas Foss, die Lukastik am Abend zuvor zu hören geglaubt hatte. Es war ganz allein Johann Sebastian Bach, was da aus dem Rekorder drang.
    »War das die Musik?« fragte Lukastik.
    »Genau«, gab Jordan zur Antwort. »Sie haben sie gehört, nicht wahr?«
    »Ja  … so ungefähr.« Lukastik war jetzt überzeugt, daß er in dem Moment, da er im Weinhaus Sittl gesessen und jenen telephonischen Anruf erhalten hatte, einer Selbsttäuschung erlegen war. Die auf- und abtauchenden Klänge der Partita, die er durch das Handy vernommen hatte, das Verzerrte, Abgehackte, Schräge, der Eindruck ausgespuckter und wieder verschluckter Töne hatte sich wohl im Zuge einer nicht ganz sauberen telephonischen Verbindung, einer akustischen Verunreinigung ergeben. Lukastik aber war auf diese Weise in die eigene Vergangenheit zurückversetzt worden, in die Zeit, da er – von der Musik besessen, auch von ihrer Erneuerung – jenes Werk des Herrn Lukas Foss im Konzertsaal gehört hatte. Und gerade jetzt, da ihm sein Irrtum bewußt geworden war, fiel Lukastik endlich der Titel ein: Phorion , griechisch für Diebesgut .
    »Diebesgut«, sagte er jetzt auch laut und deutlich und schlug sich dabei auf die Stirn, als wäre ihm ein gewaltiges Licht aufgegangen.
    »Bitte?« fragte Jordan.
    »Schon gut«, liquidierte Lukastik sein letztes Wort und bestätigte nun, in den Genuß exakt dieser Musik gekommen zu sein, als er am Vorabend, in Erwartung von Jordans Anruf, sein Handy ans Ohr gehalten habe.
    »Ich hatte befürchtet«, sagte Jordan, »Sie würden nichts damit anfangen können. Dieser Sternbach hat ja keinen Muckser getan, ist einfach nur dagesessen und hat der Musik zugehört. Wie um sich zu beruhigen. Als hätte er mich und Boehm gerade aufgeschlitzt. Was Gott sei Dank nicht der Fall war.«
    »Das kann man wohl sagen«, meinte Lukastik, der dabei aber primär an sich selbst dachte und wie schlecht sein eigenmächtiges Handeln erst angekommen wäre, hätte man das «Ehepaar Nr. 1« nur noch tot aufgefunden.
    Es erwies sich nun, daß Jordan, nachdem er aus seiner Ohnmacht erwacht war und den Umstand seiner Gefangenschaft und seines

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