Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
sind eine Rarität.«
»Ich habe mich schon gewundert«, gestand Lukastik, »daß eine derartige Tankstelle auf einer völlig unbedeutenden Nebenstrecke liegt.«
»Ursprünglich war das Haus als Kongreßzentrum geplant. Klein und fein und entlegen. Aber irgend etwas ist in die Hose gegangen. Und dann kam jemand eben auf die Idee, eine Tankstelle daraus zu machen. Samt Supermarkt und Bar und Friseur und Gästezimmern. Die Nebenstrecke ist nicht unbedingt ein Nachteil. Auch wenn dank meines Mannes Diebstahl so gut wie unmöglich ist, nehmen viele den kleinen Umweg in Kauf. Die Leute mögen uns.«
»Die Leute mögen Sie , nehme ich an«, sagte Lukastik.
»Nett, daß Sie das sagen.« Selma Beduzzis Lächeln war wie eine Blume in diesem eher ungeblümten Gehölz.
Man hatte den Waldrand erreicht. Der Schatten reichte einige Meter auf das ehemalige Feld hinaus, auf dem nun verschiedene Gräser und ein niedriges, teppichartig dichtes Unkraut wucherte. Die hügelige Fläche abwärts, erhob sich in einer Entfernung von etwa dreißig Metern jenes erwähnte, glockenförmige Buschwerk, welches tatsächlich in keiner Weise den Gedanken an eine militärische Einrichtung zuließ. Erst nachdem man ins Sonnenlicht getreten war und sich auf wenige Schritte genähert hatte, waren Teile des Betonschutzmantels zu erkennen, der etwa zwei Meter aus dem Boden ragte. Das umgebende Gestrüpp erwies sich als extrem dornig. Selma Beduzzi deutete auf einen kleinen Spalt, der die Hecke nur unmerklich zerteilte.
»Um mich da durchzudrücken, bin ich wirklich zu fett«, erklärte sie.
»So würde ich das nicht sagen«, erwiderte Lukastik, auch wenn die Pächterin der Tankstelle schlichtweg recht hatte.
»Schon wieder nett von Ihnen«, sagte Frau Beduzzi. »Aber trotzdem. Sie müssen schon alleine rein.«
Lukastik nickte und manövrierte sich durch den Einschnitt, indem er seinen Körper seitlich stellte und ihm die Form eines Fragezeichens verlieh. Gleich danach weitete sich der Pfad ein wenig, doch in Kopfhöhe blieb das Gestrüpp gewölbeartig verschlossen und zwang Lukastik, seine bucklige Stellung beizubehalten. Dabei kam es ihm vor, sich in einer geschrumpften Version des Zwettler Kreuzgangs zu befinden, stachelig und von beengender Schönheit.
Lukastik vollführte geradezu schlangenhafte Bewegungen, um nur ja nicht mit seinem Sakko oder seiner Hose hängenzubleiben. Der Gedanke, noch am gleichen Tag in einem anderen als adretten Zustand Oberstleutnant Prunner und Major Albrich gegenübertreten zu müssen, schreckte ihn gewaltig. Er gehörte zu jenen Menschen, denen im Angesicht einer Katastrophe, welcher auch immer, gleich sehr viel wohler war, wenn sie wenigstens sicher sein konnten, ordentlich bekleidet in selbige Katastrophe zu marschieren. Kein Gang zum Höchsten Gericht ohne geputzte Schuhe.
Nun, Lukastiks Schuhe würden an diesem Ort nicht gänzlich unbeschadet bleiben. Der Boden war trotz Hitze feucht. Und wurde noch feuchter und noch matschiger, als der Weg nach einer halben Umrundung des Bunkers sich abwärts neigte, quasi unter die Erde führte und in eine schmale, niedrige Öffnung mündete. Dahinter lag eine Dunkelheit, die kaum ein Detail preisgab. Der Geruch freilich, der aus der Anlage drang, war so unangenehm wie vielfältig.
Bei seinem ersten Schritt in das Innere sank Lukastiks Schuh in irgendeine Art von Matsch ein. Ihn fröstelte bei der Vorstellung, sich auch noch seine Hosenbeine zu verdrecken. Er bewegte sich jetzt gleichsam auf Zehenspitzen durch den engen Gang, tiefer in die Finsternis hinein, welche aber im Zuge einer ersten und zweiten Biegung wieder abnahm. Und als Lukastik nun an den Absatz einer kurzen Treppe gelangte und in einen Raum von der Größe eines mittleren Wohnzimmers sah, war er einen Moment geblendet von den beiden Streifen Sonnenlicht, die mittels zweier Schächte eindrangen.
Lukastik fühlte einen überfallsartigen Zustand traumhafter Betäubtheit, wie jemand, der schwer angetrunken vor seinem Bett steht und bereit ist, sich kopfüber in selbiges zu stürzen. Es war eine stickige Wärme, die ihn umgab. Eine Wärme ohne Honig zwar, aber im wortwörtlichen Sinn atemberaubend. Dann endlich bemerkte Lukastik die beiden Gestalten in einer Ecke des Raumes, ohne sofort zu erkennen, um wen es sich handelte und in welchem Zustand sie sich befanden. Es hätten Angreifer sein können. Lukastik wäre ohne Chance gewesen. Er war geradezu berühmt für sein mangelhaftes Reaktionsvermögen in Fragen
Weitere Kostenlose Bücher