Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Zeiger der Uhren kippten bedächtig. Er konnte nicht bis morgen warten. Morgen waren vielleicht alle Uhren tot.
Jemand war hinter ihn getreten. Olander zuckte zusammen, als erwarte er einen Hieb. Es war aber eine Stimme, die folgte. Die Stimme eines der Gäste aus dem Alcina: »To ist ein Schwein.«
Olander drehte sich um. Ein kleiner, dicker Kerl stand vor ihm und meinte: »Aber wahrscheinlich interessiert es Sie nicht, warum ich To für ein Schwein halte.«
»O ja, das tut es.«
»Er schläft mit meiner Frau.«
»Das sollte man ihm abgewöhnen.«
»Genau«, sagte der Mann, nannte eine Straße und eine Nummer, dann auch noch ein Stockwerk und die Lage der Wohnungstüre und kehrte zurück in die Kneipe.
Was für ein kurzer Auftritt? Doch einen längeren hätte sich der kleine, dicke Mann, dessen Frau mit Albizzi schlief, selbst niemals zugestanden.
Noch nicht!
Wie die meisten Fremden führte Vinzent Olander einen Stadtplan mit sich. Er trat unter eine Laterne und entfaltete den nördlichen Teil der Karte. Albizzis Wohnung lag nur wenige Blocks entfernt.
Es handelte sich um einen modernen, mehrstöckigen Bau. Heller Beton. Wuchtige Balkone, dahinter wandhohe Scheiben. Auf dem Dach mußte sich ein beleuchteter Pool befinden. Ein wenig von dessen Licht strahlte in den Himmel, dazu ein Gekreische und Geplansche. Trotz später Stunde.
Das alles war recht nobel für einen Mann, der Lastwagen fuhr. Nobler als Giorgio Straubs QT-8-Wohnung und natürlich sehr viel nobler als Andrea Peros Barbie-Salon in der Bronx.
Olander fand eine metallene Parkbank, von welcher er einen guten Blick auf das Haus hatte, dem eine breite Wiesenfläche vorgelagert war. Er setzte sich und holte ein Fläschchen Weinbrand aus der Tasche. Ein Schluck beizeiten war absolut notwendig, wollte er die Dinge in seinem Kopf in Ordnung halten. Der Alkohol war wie ein liniertes Blatt, auf dem die Buchstaben und Wörter halbwegs gerade erschienen. Halbwegs gerade und halbwegs lesbar.
Olander blickte in das dritte und vorletzte Stockwerk und erkannte in einem der erleuchteten Räume die Gestalt To Albizzis. Sein wuchtiger Kopf war selbst auf die Entfernung noch deutlich auszumachen. Albizzi war nicht alleine. Eine Frau stand neben ihm. Die beiden umarmten sich. Sie schienen nackt. Es war aber zunächst unklar, ob sie tanzten, sich würgten oder Sex hatten.
Gut möglich, daß es sich bei der Frau um die des kleinen, dicken Mannes aus dem Alcina handelte. Olander selbst hatte auch des öfteren mit den Frauen anderer Männer geschlafen. Aber es war ihm stets unangenehm gewesen. Eine Frau, die fremdging, erschien ihm maßlos. Er seinerseits war nie fremdgegangen. Auch nicht während der Zeit mit Yasmina. Und danach hatte er den Sex sowieso aufgegeben. Er hielt das nämlich für notwendig, daß ein Mann ab einem bestimmten Moment das Geschlechtliche als erledigt und abgeschlossen betrachtete. Um sich selbst einen Gefallen zu tun. Daß die Sexualität des älteren und alten Menschen eine erfüllende sein konnte, hielt Olander für ein Gerücht. Ein Gerücht, das nur dazu diente, die Leute bei der Stange, bei der Konsum-Stange zu halten. Ein Mensch, der Sex hatte, war auch ein guter Konsument. Da konnte der Sex noch so schlecht sein. Auch der schlechteste Sex animierte dazu, alles mögliche einzukaufen, selbst Dinge, bei denen man fünfmal um die Ecke denken mußte, um einen Bezug zum Sexuellen herzustellen.
Es widerte Olander an, diese beiden Menschen dort oben zu sehen, wie sie nackt im Licht einer Stehlampe standen und ihre Körper schlangenartig umeinanderwickelten.
Und wenn Liebe im Spiel war?
Olander hatte aufgehört, an die Liebe zwischen Mann und Frau zu glauben. Das redete man sich nur ein. Wirkliche Liebe fand allein dort statt, wo sie frei war von triebhaften Zuwendungen. Seine Liebe zu Clara war echt. Ein Kind konnte man wahrhaftig lieben, ein Tier, selbst noch eine Pflanze, nicht einen Partner. Partner war das absolut richtige Wort, wenn man bedachte, daß dieser Begriff auch geschäftliche Beziehungen benannte: eine im besten Fall für alle Seiten vorteilhafte Verbindung von Interessen.
Natürlich war Olander vom Leben enttäuscht. Aber nur die Enttäuschten konnten das Leben in aller Klarheit sehen.
Was Olander im Augenblick sah, war, wie Albizzi die Frau nach unten bugsierte, wohl auf ein Bett oder den Fußboden. Wie auch immer, auf diese Weise gerieten die beiden Silhouetten aus dem Blickfeld. Das Licht allerdings blieb an.
Und
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