Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
verblieb. Die Wunde in der Mitte seines Brustkorbs stand offen wie in einem Film von David Cronenberg.
Hier starb ein Mann. Man kann aber nicht sagen, daß sich jemand finden sollte, dem das wirklich leid tat. Denn die eine Frau, welcher der Tod dieses Mannes zu Herzen hätte gehen können, hatte kein Herz mehr, keines, das schlug. Ihr Ehemann hatte sie erschossen. Derselbe, der jetzt die Pistole auf den Boden fallen ließ, sich setzte und die Augen schloß. Er war unendlich müde, wie übrigens die meisten Mörder in der Folge ihrer Tat.
Olander war rasch nähergekommen und beugte sich über Albizzi.
»Schnell, reden Sie«, bedrängte er den Sterbenden. »Wo ist Clara? Um Himmels willen, sprechen Sie! Sprechen Sie, bevor Sie sterben.«
»Ich…ich sterbe nicht«, stammelte Albizzi.
»Und wie Sie sterben«, insistierte Olander. »Das sieht man doch. Tun Sie sich einen Gefallen und reden mit mir, bevor Sie vor Ihren Schöpfer treten.«
Albizzi sah an sich herunter, starrte auf die große Wunde. Dann sagte er: »Ich träume das nur.«
»Wenn Sie das nur träumen, dann können Sie mir auch sagen, wo ich Clara finde.«
Albizzi wollte etwas antworten. Vielleicht sogar, daß Olander recht habe, daß es wirklich nicht darauf ankomme, solange dies alles nur ein Traum war. Aber die Worte wollten nicht heraus. Sie rutschten in die falsche Richtung.
Als der Sterbende dann doch noch etwas sagte, kam es Olander beinahe vor, als spreche Albizzi nicht durch den Mund, sondern aus der Wunde in der Mitte seiner Brust. Es war ganz leise, aber Olander war nahe genug, um es zu verstehen. Albizzi sagte: »Hilt…roff.«
»Hiltroff?«
»J…a«, bestätigte Albizzi mit einer derartigen Verzögerung, als müsse er die Buchstaben stricken, bevor er sie aus seiner Wunde entlassen konnte.
»Was ist das? Was ist Hiltroff ? Was soll das bedeuten?«
»Es ist…ein…Ort.«
»Was für ein Ort?«
Albizzi sagte noch etwas. Aber – um bei obigem Beispiel zu bleiben – er verhedderte sich in der Wolle seiner Wörter. Er verstrickte sich. Er ließ seine Stricknadeln fallen. Sodann rutschte sein Kopf ein wenig zur Seite, und seine Augen froren ein.
»Verdammt noch mal«, fluchte Olander. Besann sich dann aber. Er war Katholik. Ein recht ernster dazu. Er sagte: »Ruhe in Frieden.«
Als zwanzig Minuten später Longhi erschien, wurde der kleine, dicke Mann bereits an Handschellen aus der Wohnung geführt. Auch dessen Frau hatte man schon gefunden. Ebenfalls mit drei Kugeln im Leib. Die Sache war so klar wie selten ein Fall. Wenn man davon absah, daß sich ein Mann namens Vinzent Olander am Tatort befand.
»Sie haben die Polizei benachrichtigt?« erkundigte sich Longhi, obgleich er das ja wußte.
»Ja«, nickte Olander. »Und ich habe denen auch gleich gesagt, sie sollen Sie anrufen.«
»Sehr aufmerksam von Ihnen. Und darf ich auch wissen, was Sie hier tun?«
»Das ist Ihnen doch bekannt, daß ich Herrn Albizzi treffen wollte.«
»Um diese Uhrzeit?«
»Warum nicht?«
»Und jetzt ist er tot«, stellte Longhi fest.
»Was soll ich machen? Ein Zufall. Dieser andere Mann kam herein und hat ihn erschossen.«
»Wer hat ihm die Tür geöffnet?«
»Ich. Albizzi hat mich darum gebeten.«
»Warum ist der Tote eigentlich halbnackt?«
»Er ist nicht halbnackt«, korrigierte Olander. »Er hat kein Hemd an. Und er hat mir das nicht erklärt.«
»Hat er Ihnen vielleicht etwas anderes erklärt, etwas, das ich wissen sollte?«
»Nein«, antwortete Olander. »Wir sprachen über den Unfall. Wie unglücklich sich alles gefügt hat. Mehr nicht. Mehr hatte ich auch nicht erwartet.«
»Na gut«, gab sich Longhi zufrieden und betrachtete den Toten – kurz und aus der Distanz. Er schien sich nicht die Mühe machen zu wollen, die Verletzungen zu begutachten. Was hätte das auch gebracht? Das war eine Sache der Ärzte. Das war Drecksarbeit. Longhi war jemand, der gerne wegsah.
Er fragte Olander: »Soll ich Sie nach Hause bringen lassen?«
»Nicht nötig, mein Wagen steht draußen.«
»Kann es sein, daß Sie getrunken haben?«
»Nein«, sagte Olander, drückte die Pistole in der Innentasche seines Jacketts mehr zur Achsel hin, verabschiedete sich und verließ die Wohnung.
Draußen vor dem Haus, blieb er kurz stehen, sah in den klaren Sternenhimmel und sagte: »Hiltroff.«
Das Wort floß dahin und bildete eine Spur. Olander folgte ihr.
7
»Jetzt verstehen Sie wohl, warum ich nach Hiltroff kam«, sagte Olander und drehte sein Glas in einer
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