Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
gesichtslose Vorstände, deren ganze Utopie darin besteht, ein bißchen reicher als im letzten Jahr zu werden und mehr Mitarbeiter freizusetzen als die Konkurrenz. Berlusconi ist anders. Bei dem hat man den Eindruck, er könnte den Mond erobern, um von dort aus seine Feinde mit Laserkanonen zu bombardieren. Aber wenn Sie mich nach den Personen fragen, die die Gruppo Colanino führen…keine Teufel, keine Engel, keine Helden und sicher keine Monderoberer. Ein paar Damen und Herren in Kostümen und Anzügen, die um einen großen Tisch sitzen und den besten Espresso der Stadt trinken.«
»Ist das nicht gar ein bißchen einfach gedacht?«
»Das ist es sicher«, sagte Longhi. »Die Einfachheit ist das Perfide. Wie sehr die Dinge von selbst laufen. Die Welt entwickelt sich zurück und schrumpft auf eine einzige Zelle. Und zudem…«
Longhi unterbrach sich. Er bat um Verzeihung. Das sei eigentlich nicht seine Art, sich solche Ausflüge ins Abstrakte zu erlauben.
»Meine Schuld«, sagte Lukastik, der gern hin und wieder eine Schuld auf sich nahm, so wie man sich hin und wieder gerne zu seinen eigenen Ungunsten verrechnet. Man fühlt sich nachher einfach besser. Vom Schicksal bestraft, aber auf eine vernünftige, erträgliche Weise.
Lukastik sah auf die Uhr. Er wollte seinen Flieger nicht versäumen. Er wollte das italienische Licht hinter sich bringen, bevor noch die nicht minder schlimme italienische Nacht einsetzte. Und er wollte zurück nach Hiltroff, um sich die Fabrik anzusehen und Olander nach der Bedeutung einer Giraffe zu fragen. Einer Giraffe, die in Wirklichkeit ein Affe war.
»Ich werde meinen Leuten Dampf machen«, kündigte Lukastik an, »damit die sterblichen Überreste von Frau Pero nach Mailand überführt werden können. Die Frau soll ihre Ruhe bekommen. Damit wenigstens einer seine Ruhe hat.«
»Das soll sie«, bestätigte Longhi und legte seine Hände derartig sorgfältig übereinander, als schließe er eine Ehe mit sich selbst.
Das Ungute an diesem Fall war, daß es wahrscheinlich zwei Fälle waren, wenn nicht noch mehr. Immerhin fühlte sich Lukastik sehr viel wohler, als er aus dem heißen, an diesem Abend vom vielen Licht geradezu eingedickten Mailand herauskam und nach Wien flog. Dort blieb er einen Tag, um zu Hause ein Bad zu nehmen, den Anzug zu wechseln und sodann seinen Vorgesetzten über den Ermittlungsstand in Kenntnis zu setzen. Der Vorgesetzte schüttelte nur den Kopf und meinte: »Ich versteh nicht, Lukastik, warum alles, womit Sie zu tun haben, immer so kompliziert wird.«
»Es war Ihr eigener Wunsch«, erinnerte Lukastik, »daß ich mir die Hiltroffer vorknöpfe.«
»Ich habe Sie wegen einer Toten im See zu diesen Wilden geschickt, und jetzt kommen Sie mit einer absurden Plastikfigur daher, einem toten Taxifahrer, mit einem adoptierten Kind, einem Mann, der Sprachen erfindet, und was da noch alles folgen mag.«
»Wollen Sie mich dafür verantwortlich machen? Denken Sie, daß es meine Untersuchungsmethoden sind, die dieses Durcheinander bewirken? Denken Sie, ich bin schuld an der Wahrheit?«
»So will ich es nicht ausdrücken, aber irgendwie…«
»Irgendwie was?« Lukastik konnte dieses ungenaue Geschwafel, diese schwammige Verdächtigungslitanei nicht ausstehen.
»Was soll’s, es ist Ihr Fall«, kapitulierte der Vorgesetzte, wie er immer vor Lukastik kapitulierte. Gleich den anderen hatte auch er eine starke Aversion gegen seinen Untergebenen. Er fühlte sich körperlich unwohl in dessen Gegenwart. Man konnte diesem Mann nicht beikommen. Schon gar nicht, wenn man sein Chef war. Jedes Chefgetue prallte an Lukastik ab. Lukastik arbeitete für höhere Mächte, nicht für den österreichischen Staat.
Der solcherart unantastbare Chefinspektor ließ sich am nächsten Tag im Dienstwagen nach Hiltroff bringen, wo er sich als erstes davon überzeugte, daß Olander weiterhin im Hotel Hiltroff und im POW! zu finden war. Mit ihm würde er sich später unterhalten. Zuerst aber wollte er die Fabrik besichtigen, in welcher das Colanino-Unternehmen seine Affen und Drachen und Supermänner und allerlei komische Zwerge und Feen und grinsende Gespenster herstellen ließ.
Bei dem Komplex handelte es sich um einen historischen Backsteinbau, der, ein wenig außerhalb der Ortschaft, auf einer zwischen kleinen, moosigen Hügeln begradigten Fläche stand. Ein moderner Zweckbau war seitlich angefügt worden. Das ganze Objekt machte den Eindruck, als hätten hier die Denkmalschützer ein Wörtchen
Weitere Kostenlose Bücher